Besonders erfolgreiche Abstimmung

Am 27.09.2024 hat MB-ASM-PsychosozialeTherapien <Info-Leitlinie-PsychosozialeTherapien@medizin.uni-leipzig.de> an den BKT (Berufsverband für Künstlerische Therapien g.e.V.) die folgende erfreuliche Email geschickt:

wir möchten uns herzlichst für Ihre Teilnahme an der schriftlichen Delphi-Abstimmung zu den Künstlerischen Therapien bedanken!

Empfehlungstext:

Künstlerische Therapien mit ihren Spezialisierungen in Musik-, Kunst-, Tanz- und Theatertherapie sollten Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen in Abhängigkeit von individuellen Bedarfen und Präferenzen angeboten werden. (Empfehlungsgrad B)

Wir haben von den beteiligten Fachgesellschaften und Verbänden 33 Zustimmungen erhalten; keine Nichtzustimmung, keine Enthaltung. Das entspricht einem starken Konsens im Gremium.

Der BKT arbeitet seit Jahrzehnten an den S3-Leitlienen zu Psychosozialen Therapen mit:
www.kuenstlerischetherapien.de

Anlässlich eines an der Universität Münster vom Betreiber dieses Podcasts 1985 organisierten dreitägigen Symposions hat dieser in Anlehnung an die an Kunst- und Musikhochschulen vertretenen professionellen Ausbildungen zu Künstlern die seither gängige Bezeichnung Künstlerische Therapien geprägt.

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„toxisch“

Die Erfahrungen, über die Mirijam Franke am 1. Februar 2023 in ihrem Artikel „„Toxische“ Menschen: Wie der Umgang mit schwierigen Kollegen gelingt“[1] schreibt, kann man nachvollziehen.  Dort heißt es:

Es gibt Personen in deinem Leben, die tun dir schlichtweg nicht gut. Toxisches Verhalten kommt häufiger vor als du denkst und geht in der Regel mit einer Persönlichkeitsstörung wie Narzissmus einher. Es vergiftet nach und nach die Emotionen in deinem sozialen Umfeld. Dies passiert jedoch so langsam und unauffällig, dass toxische Verhaltensweisen meist lange Zeit unbemerkt bleiben und dementsprechend großen Schaden anrichten – bei Einzelpersonen, in einem Team oder ganzen Unternehmen. […]

Toxische Menschen besitzen sogenannte dunkle Persönlichkeitszüge, also Anteile an der „dunklen Triade“:

    1. Narzissmus
    2. Machiavellismus
    3. Psychopathie

Das bedeutet allerdings nicht, dass jede toxische Person eine handfeste narzisstische oder psychopathische Störung aufweisen muss. Schon geringste Anteile, wie sie fast jeder von uns besitzt, können zu einer toxischen Umgangsform führen.

Auch Erziehung, Sozialisierung sowie Gewohnheit spielen bei der Entwicklung einer toxischen Persönlichkeit eine tragende Rolle. So werden Menschen zum Beispiel mit großer Wahrscheinlich selbst toxisch, wenn sie in einer entsprechenden Umgebung aufgewachsen sind oder viel Zeit darin verbringen. Das bedeutet leider auch, dass eine einzige toxische Person eine ganze Gruppierung nach und nach „vergiften“ kann, beispielsweise in einem Team.

Toxische Mitarbeiter gefährden die Arbeitsatmosphäre

Ein einziger toxischer Mitarbeiter kann die Arbeitsatmosphäre des gesamten Teams, einer ganzen Abteilung oder in entsprechender Schlüsselposition sogar eines kompletten Unternehmens zerstören.“

In dem von Mirijam Franke verlinkten Text heißt es:

    • Wer immer nur höflich zur Seite tritt, überlässt anderen das Feld!
    • Wer mit Höflichkeit jeden Konflikt vermeiden will, wird schnell übersehen und übergangen.
    • Wenn Ihr etwas mit Substanz zu sagen habt, dann tut das! Nett zu sein bringt Euch nicht weiter.“

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Kulturelle Teilhabe im Sozialpsychiatrischen Zentrum

Ein Beitrag des Musiktherapeuten Gerd Fierus:
https://musiklabor-netzwerk.blogspot.com/2022/12/kulturelle-teilhabe-im.html 

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Depression und Glück

Laut der am 5.12.2022 vom SWR2 ausgestrahlten Sendung „Das lange Warten auf Hilfe“ leiden ca. 5 Millionen an einer Depression. Trotz der Arbeit der Leitlinienkommission, an der sich auch der BKT g.e.V. seit Jahrzehnten beteiligt, werden wie leider so oft auch vom Vorsitzenden der „Stiftung Deutsche Depressionshilfe“ die künstlerischen Therapien nicht erwähnt. Dabei sind in der Regel ihre Therapieplätze sehr viel schneller zu haben und können Angebote von qualifizierten künstlerischen Therapeuten denjenigen von Psychiatern und approbierten psychologischen Psychotherapeuten nicht nur gleichwertig, sondern durchaus überlegen sein.

An der Sendung „Psychosomatik“ desselben Senders vom 24.11.2022 kann man sich ein Bild von dem Aufwand bei Beschränkung auf die x- und y-Achse machen; unter x-Achse versteht die Arbeitspruppe OPD die Beziehung („Affiliation“) und unter y das Selbstwertgefühl („Independenz“). Hier fehlt die unverzichtbare z-Achse, die für die uns alle bestimmende Dimension „Zeit“ (Tempo, Rhythmus usw.) steht. Die in erster Linie aus Zeit bestehende Musik ist hierfür geradezu prädestiniert, kann aber in der Musiktherapie bei kompetenter Beobachtung der „rhythmisch-energetischen-Struktur“ (RES-System mit seinen multimodalen Möglichkeitenin und der Bedeutung von res als Sache und als Akronym) umso effektiver eingesetzt werden. Weitgehend gilt dies auch für den Tanz, obgleich hier die Schwerkraft und damit die Vertikale (Y-Achse) dominiert. Doch auch in der eher von der x-Achse bestimmten Theater-/Schauspiel-/Dramatherapie spielt die z-Achse eine nicht zu unterschätzende Rolle. Ebenfalls in der Poesietherapie und selbst in der auf den ersten Blick vermeintlich davon wenig berührten Kunst- bzw. Maltherapie kommt ihr immense Bedeutung zu, wenngleich in anderer Hinsicht als in den zuvor genannten Künsten.

In diesem Zusammenhang sei auf die Ausstrahlung desselben Senders vom 25.11.2022 „Pilotprojekt Glücksunterricht“ und seine Ergebnisse hingewiesen. „Jeder ist seines Glückes Schmied“ wird sich der bekannte Depressionsforscher Martin Seligman bei seiner an das Gedicht des römischen Konsuln Appius Claudius Caecus angelehnten Formulierung der Glücksformel in „Der Glücks-Faktor“ (2005) gedacht haben. Leider – dies ist längst erwiesen – ist der alleinige kognive Ansatz falsch. Um auf die Bedeutung von „Glück“ hinzuweisen, wozu es noch kaum Forschungen gibt, hat der BKT g.eV. in der Mitgliederversammlung vom 29.11.2022 einen Musik- und Glückstherapeuten in den Vorstand gewählt.

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Künstlerische Therapien

Im Wikipedia-Artikel „Künstlerische Therapie“ heißt es:

„Der an der Universität Münster Musiktherapie und Rhythmik/Tanz lehrende Karl Hörmann prägte 1985 anlässlich eines dort von ihm organisierten dreitägigen Symposions[10] in Anlehnung an die an Kunst- und Musikhochschulen vertretenen professionellen Ausbildungen zu Künstlern die seither gängige Bezeichnung Künstlerische Therapien.“[11]

Dieser Intention zufolge müssten die künstlerischen Therapeuten Ärzten, Psychologen und beamteten Lehrern gleichgestellt werden. Zumindest an der Universität Münster war als Eingangsvoraussetzung für den Zusatzstudiengang Musiktherapie ein abgeschlossenes Lehramtsstudium mit Hauptfach Musik Bedingung. Einen akademischen Abschluss mit Schwerpunkt Tanz oder Musik sah auch der vom Senat der Deutschen Sporthochschule 1987 beschlossene Zusatzstudiengang Musik- und Tanztherapie vor. Dieser war durch Intrigen von Personen der Musik- bzw. Tanztherapieszene, die nie eine Chance auf eine Anstellung an einer Hochschule hatten und um die Einnahmen aus ihren privaten Angeboten gefürchtet hatten, hintertrieben worden. Der gegen größte Widerstände vor allem von Seiten der Musikpädagogen von 1977 bis bis zur Anerkennung 1984 erreichte Zusatzstudiengang Musiktherapie an der Universität Münster musste unter der 1990 auf meine Stelle folgenden Nachfolgerin schließlich gar zweimal und dann endgültig eingestellt werden. Wie die Universität Frankfurt hatte sich auch die Universität Münster zu diesem nicht leicht gefallenen Entschluss durchringen müssen. Einerseits waren hier wie dort die leitenden Personen nicht habilitiert, so dass in Münster die ursprünglich ausgeschriebene C3-Professur für Musiktherapie in eine Stelle „Studienrat im Hochschuldienst“ herabgestuft werden musste, nachdem der einzige habilitierte Bewerber als Titelschwindler entlarvt worden war. Wenn sich aber jemand „Studienrätin im Hochschuldienst“ bezeichnen darf, selbst aber weder ein 1. noch ein 2. Staatsexamen für das höhere Lehramt absolviert hat und somit nicht einmal die Eingangsvoraussetzungen der Bewerber erfüllte, war das Desaster abzusehen. Zunächst blieben mehr und mehr die Interessenten weg. Dann, 2010, wurden die Eingangsvoraussetzungen aus der Studienordnung gestrichen und die Prüfungsordnung geändert, jedoch mit nur kurzfristigem, aber nicht anhaltendem Erfolg, so dass der Zusatzstudiengang nach zwei Jahren 2012 endgültig eingestellt wurde. Die Euphorie von 1984 und 1985, die sich auch in der Presse und in Rundfunk und Fernsehen breit gemacht hatte, verflog zusehends und wich nach dem Motto „Masse statt Klasse“ der Quantität statt Qualität. An eine Verbeamtung von künstlerischen Therapeuten ist nicht mehr zu denken.

Der zu jener Zeit von mir geprägte, an die an Kunst- und Musikhochschulen vertretenen professionellen Ausbildungen zu Künstlern angelehnte Begriff „Künstlerische Therapien“ hat zwar alle anderen Bezeichnungen wie Gestaltungs- oder Kreativtherapien verdrängt – jedoch zu Unrecht. Die Bezeichnung Künstlerische Therapien betont schließlich die künstlerische Intention, zu deren Realisation eine gediegene Ausbildung an Kunst- und Musikhochschulen gehört – wenngleich keine Regel ohne die berühmte, eher seltene  Ausnahme. Bei der Wahl dieser Bezeichnung hatte ich mich 1985 an das Kunsthochschulgesetz NRW angelehnt:

„§ 3 KunstHG – Aufgaben

(1) Die Kunsthochschulen dienen der Pflege der Künste insbesondere auf den Gebieten der bildenden Kunst, der Musik, der darstellenden und der medialen Künste durch Lehre und Studium, Kunstausübung und künstlerische Entwicklungsvorhaben sowie Weiterbildung. Sie bereiten auf künstlerische Berufe und auf Berufe vor, deren Ausübung künstlerische Fähigkeiten erfordern.“ § 3 KunstHG, Aufgaben – Gesetze des Bundes und der Länder (lexsoft.de)

Wer zumindest unter den Lehrenden normalerweise nicht wenigstens eine Lehramtsstudium mit Hauptfach Musik, Kunst oder Tanz absolviert oder wenigstens einen Abschluss für Privatmusiklehrer, eine als vergleichsweise anspruchslos geltende Qualifikation, erreicht hat und sich künstlerischer Therapeut nennt, betreibt einen längst üblichen Etikettenschwindel. Künstlerische Therapeuten nennen sich gar Leute mit Professorentitel, obgleich sie keinerlei Musikinstrument beherrschen. Da stellt sich die Frage, wie wollen deren Absolventen lernen, wie Patienten aus dem Wirkungspotential von Musik bedient (= die wörtliche Bedeutung von therapeuein) werden und sich Musik selbst zunutze machen können, wenn ihre Lehrenden nicht einmal zu einer rudimentären Demonstration imstande sind. Für den Autor des eingangs erwähnten Artikels ist anstelle der eigentlichen Aufgabe von Künstlerischen Therapien lediglich „die Auseinandersetzung mit künstlerischen Medien Hauptmerkmal der therapeutischen Praxis“. Unter „Auseinandersetzung“ darf das in der Psychotherapie übliche Sprechen als Ersatzhandlung verstanden werden.  Unermüdlich und offensichtlich vergebens hatte der Dipl.-Kunsttherapeut, approbierte Dipl.-Psychoge und Ordinarius Walther Zifreund das grassierende „Reden über …“ angeprangert und für eine handlungsaktivierende künstlerisch-therapeutische Praxis geworben: https://www.bkmt.de/Zifreund_Kuenstl_Therapien_1988.pdf und https://bkmt.de/Zifreund_1988_S._%2021-37.pdf.

Bemerkenswerterweise sagte der für seine Schlagfertigkeit berühmte Entertainer Thomas Gottschalk anlässlich des ihm am 9.11.2022 in Passau verliehenen „Menschen in Europa“-Kunst-Award, er sehe sich nicht als Künstler: „Ich bin kein Künstler. Das Spontane hat für mich nichts mit Kunst zu tun. Das Spontane ist eine Begabung. Dass man es schafft, etwas zu formulieren, während man es sieht.“ Im Gegensatz zu ihm mache sich ein Künstler vorher Gedanken, was er sagen will.

Geklimper und angeblich kreatives Panschen ist das Gegenteil davon. Künstlerische Therapien, die diese Bezeichnung verdienen, unterscheiden sich von jenen anderen Gebieten, die durchaus einen Sinn haben. Auch sie wollen therapieren, aber eben nicht unter dem Aspekt des genuin Künstlerischen. Je mehr die holde Kunst reduziert und ignoriert wird, desto weniger gelingt es ihr, „den Himmel beßrer Zeiten“ zu erschließen.

Auch der Begriff „Musiktherapie“ ist längst aufgeweicht und grenzenlos nivelliert. Alles, wo irgendwie Klänge vorkommen, nennt sich Musik- oder gar Künstlerische Therapie. Da jeder Mensch eine Stimme besitzt und seine Sprechstimme in irgendeiner Weise einsetzen kann, wird auch in der Musiktherapie nach dem Motto von Joseph Beuys verfahren „Jeder ist ein Künstler“ (so der Titel seines Vortrags von 1978), womit dem Dilettantismus Tür und Tor geöffnet ist.

Musiktherapie im engeren Sinne meint die Angewandte Musikpsychologie mit ihren dem Kompositum Musik-Psychologie eigenen zwei Ausrichtungen:

  • Erkennen des musikalischen Gehalts und seine diesbezügliche Interpretation eines musikalischen Werks aufgrund eigehender Analyse einer möglichst schriftlich vorliegenden Komposition,
  • Verwenden und Modifizieren von musikalischen Vorgaben zu individuumsbezogenen Therapiezwecken.

Während die erste Bedeutung von Angewandter Musikpsychologie das griechische Wort therapeuein im ursprünglichen Sinne von pflegen, sorgfältig behandeln und weiterbilden versteht und damit einen pädagogischen Zweck verfolgt, nämlich einen Adressaten eher verhaltenstherapeutisch zu musikalisieren, wird im anderen Verständnis von Musiktherapie das Medium Musik dazu verwendet, den mehr oder weniger musikalisch ungebildeten Patienten mit elementaren Substanzen und Komponenten von Musik zu erreichen, sei es, indem er ermuntert wird, eigene Erfahrungen mit dem Klangmaterial zu machen und dabei die Wirkung des Wiederholens und des Formens eines oder mehrerer musikalischer Parameter zu erfahren, oder sei es, dass er mehr oder weniger rezeptiv sich solcher Wirkung aussetzt und dabei ebenfalls die ordnende Wirkung erspürt, die sein inneres Chaos reguliert. Diese Art von Musiktherapie nutzt in mehr oder weniger getrennten oder zusammenwirkenden kurzzeittherapeutischen und/oder psychodynamischen Verfahrensweisen Klangmaterial zur nonverbalen Anbahnung und Förderung einer Kommunikation von Patient und Therapeut oder zum Musizieren in der Gruppe, wobei das Wort Gruppentherapie fälschlicherweise signalisiert, eine Gruppe lasse sich therapieren. Therapie bezieht sich immer auf eine Person, auch wenn sie sich in einer Gruppe befindet. Ein Betätigen von Klangmaterialien ohne musikpsychologisch fundiertes Wissen um ihre Möglichkeiten aktiviert zwar und erzeugt mehr oder weniger motivierende Erlebnisse, ist aber angesichts der nicht genutzten Möglichkeiten Geklimper und vertane Zeit. Gleichwohl ist sie nicht wertlos, wie die großenteils auf Compliance basierenden rund 73 Milliarden Euro jährlichen Umsätze von Wellness im Sinne von hauptsächlich passiven Wohlfühlangeboten eindrucksvoll zeigen.

Künstlerische Therapien sind mehr als eines ihrer vornehmlich nonverbalen Gebiete wie Musik, bildnerisches Gestalten und Tanz. Sie beziehen die anderen künstlerischen Bereiche in ihre therapeutische Arbeit mit ein. Z. B. kann die Verbindung von Musik und Malen im Musikmalen von der einen ebenso von der anderen Seite des zusammengesetzten Begriffs Musikmalen angegangen werden. Und selbstverständlich sollte zum Musizieren und Musikhören die Beachtung und gezielte Formung der nonverbalen Bewegung bis hin zu ihrer künstlerischen Strukturierung gehören, da aus ihr ein Werkcharakter resultieren kann, der dem Patienten zurecht das Erfolgserlebnis des produktiv schaffenden Individuums gibt. Nicht von ungefähr sagte Friedrich Nietzsche: „Trau keinem Satz, der im Sitzen entstanden ist.“ Gesungen und musiziert sollte möglichst im Stehen und Zulassen von musikangemessenem Mitreagieren vonstattengehen. Das steigert nicht nur das Musikerleben, sondern offenbart dem Betrachter das, was Gustav Mahler meint, wenn er sagt: „Das Wesentliche in der Musik steht nicht in den Noten.“

Musikpsychologisch fundierte und erst recht künstlerische Therapien sehen den Patienten ganzheitlich im Sinne der Welt. Der Volksmund bezeichnet eine Stimmigkeit mit dem Wort, die Sache oder Arbeit sei nun rund, also nicht einseitig und unfertig. Das eine tun, das andere nicht lassen, aber nicht dilettantisch, sondern in Respekt und Ehrfurcht sich auch jenen künstlerischen Gebieten nähern, die die Multimodalität, die das Erleben nun mal ausmacht, berücksichtigt. Als Musiker und besonders als Musiktherapeut erlebe ich erst dann jenen Flow, wenn ich das ganzheitliche Ergriffenwerden zulasse und vom Standpunkt der mir Sicherheit verleihenden technischen Beherrschung meines Instruments musikalisch multimodal, d.h. alles Sinne ansprechend, zu gestalten in der Lage bin. Mit diesem Können kann ich mich selbst regulieren, aber auch auf den Hörer ordnungsschaffend und erlebnisüberhöhend einwirken.

Nicht zu unterschätzen ist dabei die Distanzierungsfähigkeit. Wo eine wissenschaftliche Ausbildung gänzlich fehlt, kann diese schwerlich durch eine Lehranalyse kompensiert werden. Solche Personen beziehen die allenthalben sichtbaren, aus Gründen des Selbstschutzes aber gesellschaftlich verpönten und verdrängten Fakten, die oftmals für das gestörte Lebensgefühl eines Patienten verantwortlich sind, gerne auf sich. Welch gravierend verstörenden Eingriff nicht zu leugnende Phänomene unserer Gesellschaft haben, wird beispielhaft unter „Justiz und Psychiatrie“ gezeigt und mit der Frage verbunden, ob und ggf. wie hier Musiktherapie noch Sinn machen kann. Vor allem aber ist diese Frage den meist auf fürsorgliche, künstlerisch therapeutische Bemutterung von Kindern und Jugendlichen ausgerichteten Therapieangeboten zu stellen, wenn sie bereit sind, sich die Sendung anzuhören, in der zu Beginn ausdrücklich davor gewarnt wird, dass sie verstörend sein könne. Die darin geschilderte vielfache Realität kann erst recht nicht von einer sensiblen, harmoniebeflissenen und dadurch sympathisch erscheinenden Person ausgeblendet werden, wenn sie mit solchen Patienten arbeiten will.

Ein „in den falschen Hals“ geratenes Wort kann bei solchen, die düsteren Seiten der gesellschaftlichen Realität vermeidenden Künstlern schlagartig vergessen machen, was bislang und eben noch begeistert hat, ohne dass der betroffene Sprecher erfährt, was denn plötzlich los ist. Sie erweisen sich als einsichts- und therapieresistent. Damit ist eine solche Person für einen therapeutischen Beruf schwerlich geeignet. Im ICD und DSM finden sich die diesbezüglichen Diagnosebegriffe, die in den künstlerischen Therapien wegen der Folgen einer Etikettierung nicht ausgesprochen werden. Solch ein Musiklehrer etwa ist aber durchaus in der Lage, Fingertechnik zu vermitteln. Doch gilt hier das Wort des Violinvirtuosen Isaac Stern: „Das größte Verbrechen eines Musikers ist es, Noten zu spielen anstatt Musik zu machen.“

Begriffe wie Künstlerische, Gestaltungs- und Kreativtherapien treffen, wie die damit verbundenen missverständlichen und gar missbräuchlichen Verwendungen zeigen, nicht das, worauf es in einem individuumszentrierten therapeutischen Arbeiten ankommt. Angesichts der Ergebnisse der Hirnforschung ist hier entscheidend, die körperliche und psychische Spannung und Verspanntheit eines Leidenden zu lösen und neurophysiologisch und seelisch zu harmonisieren. „Der Ton macht die Musik.“  Die treffende Bezeichnung für solcherart therapeutisches Tun, das den Namen „künstlerische Therapie“ wirklich verdient, kann nur heißen Ton-Psychologie bzw. Ton-Therapie!

Univ.-Prof. Dr. Dr. Karl Hörmann

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Zeitungs- und Rundfunkmeldungen zur Macht der Musik

dpa vom 31.01.2022 und 01.02.2022: 2, 3, 4, 5, 6, 7 usw

15.2.2022: Ankündigung und Interview

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Gilt noch immer

Pop-Musik klingt heute viel trauriger als früher

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aus Borkener Zeitung vom 26.10.2021

Musik soll Grenzen überwinden – Borkener Zeitung

Möglichkeiten der Musiktherapie. Die Integrationsbeauftragte der Stadt Borken, Brigitta Malyszek, (r.) …
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Musiktherapie als Gebiet der Ton-Psychologie

Ton-Psychologie – mtk-akademie (mtk-akademie.de)

Musiktherapie ohne Ablenkung: Der Weg und das Ziel sind der heilsame Flow (psychologie-aktuell.com)

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Klavierimprovisation

Auch Musiktherapeuten, die noch wenig Erfahrung mit Klavierspiel haben, können sich  ohne großen Aufwand Grundlagen zur Improvisation und Liedbegleitung am Klavier aneignen. Das Internet bietet zahlreiche, auch kostenlose Apps, z. B. die iPad-Apps „Simply Piano“, „Yousician“, „Tin Pan Rhythm“ und „Tonic“ (mit Griffen für Akkorde).

Bewährt haben sich aus der Vielzahl von Improvisationsarten diese:

  • freie Improvisation mit irgendwelchen Tönen und Clustern.
  • pentatonische Improvisation auf den schwarzen Tasten,
    • z. B.  „Nova N0va  – Tones (Café del Mar)“ im 4/4-Takt mit der auch rhythmisch immergleichen 2-taktigen Grundstruktur dis – cis bzw. es – des.
  • modale und Dur-/Moll-tonale Improvisation.
  • Liedbegleitung ohne Melodiestimme.

Die letzten beiden benötigen die Schulung des Unterscheidens von Akkorden. Dazu gibt es zahlreiche Apps für Gitarre. Zahlreiche Beispiele aus der gängigen Popmusik beschränken sich auf zwei Akkorde, z. B. sleepwalking.

Allen gemeinsam ist die Beachtung von „Zeit + Raum“, d.h., von

  • Tempo, Metrum, Rhythmus, Agogik, rit. usw. einerseits und
  • Architektur, Struktur, Form, Takt und Taktfolgen usw.

Anbei der auf dem Symposion am 14. September 2019 in Münster ausgeteilte Handzettel 14.9.19. und die ausgeteilten Übungen zum Kadenzschema – Nun will der Lenz. Der Vortrag dazu ist nachlesbar in der MTK 2, 2019, S. 225-253.

Wie Musikstücke auf ihre Stimmung und ihre Gefühlsspuren zu analysieren sind und unter Beachtung des zeittypischen und biographischen Stils interpretiert werden müssen, damit die Substanzen des Wirkungspotentials einer Musik zur Geltung kommen, lässt sich kaum anhand von Vorgaben im Internet erlernen. Dazu bedarf es einer musikpsychologisch fundierten Anleitung eines darin erfahrenen Lehrers.

Besonders in der Musiktherapie gilt es oftmals, Musik von Komponisten nicht werkgetreu darzubieten, sondern sie so zu modifizieren und zu funktionalisieren, dass die musikimmanenten Wirkungseigenschaften den patientenbezogenen Effekt erzeugen und ihm jene Befindlichkeit ermöglichen, auf der das weitere Vorgehen in der auf ihn ausgerichteten Musiktherapie verfolgt werden kann.

  • Hörmann, K. (2009). Musik in der Heilkunde. Lengerich: Pabst Science Publ.

Näheres unter Klavierimprovisation in der Musiktherapie.

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Musiktherapiepraxis des Pastors und Chefarzts Dr. med. Rudolf Burkhardt von 1980

Mit diesem Film von 1980 sei an Chefarzt Dr. Rudolf Burkhardt erinnert. Er war Kommissionsmitglied bei der von Prof. Dr. Dr. Karl Hörmann seit 1977 betriebenen und 1984 erfolgreichen Etablierung des Diplom-Zusatzstudiengangs Musiktherapie an der Universität Münster. Siehe Geschichte der Musiktherapie an der Universität Münster.

Chefarzt Dr. Rudolf Burkhard hatte bereits um 1970 multimodale Ansätze der Kunsttherapie gepflegt und war sich nicht zu schade, mit den Insassen zu singen, musizieren und zu tanzen, und sehr erfolgreich zu freiem bildnerischen Zeichnen zu Musik angeleitet hatte. Jahrzehntelang hatte er großflächige Bögen aus Zeitungsrollen, die er sich aus Druckereien besorgt hatte, und Farbstifte ausgegeben und die zur Musik gemalten Bilder der Patienten nummeriert und mit Datum und Uhrzeit und auf der Rückseite mit kurzen Diagnosen und Aussagen der Patienten versehen. Zu jedem Datum hatte er ärztliche Berichte angefertigt, um in seiner Zeit des Ruhestands seine jahrzehntelangen Forschungen niederzuschreiben. Dazu hatte er einen Raum in der Universität Münster zur Verfügung gestellt erhalten. Seine mit einem großen Lastwagen von Hamburg transportierten Tausenden von Dokumentationen wurden in eigens beschafften Regalen in einer zugemauerten ehemaligen Turnhallentribüne säuberlich aufgestapelt. Als er aber mit der Niederschrift beginnen wollte, starb seine mit ihm aus der DDR geflüchtete Frau und vierzehn Tage später er selbst. Die Universität Münster hatte noch einige Jahre zugewartet und gehofft, dass sich jemand findet, dieses Lebenswerk und Zeugnis erfolgreicher multimodaler Kunsttherapie auszuwerten. Vergebens. Lediglich ein Absolvent des Weiterbildungsstudiums Musiktherapie hatte einige wenige Bilder in seiner Dissertation zum Dr.med. verwertet: Riad Alexander Michael: Musikmalen als psychotherapeutische Methode bei Neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen (ICD-10: F4) – Eine katamnestische Evaluation.

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Begnadeter Künstler und Neurophysiologe zur Schwerstarbeit Kunst

Erwin-Josef Speckmann versteht es, das Verständnis für kreative Prozesse zu wecken. Für diese ist Voraussetzung, dass das Gehirn in einer bestimmten Stimmung ist und die Hirnfunktion Kunst tätig und das künstlerische Tun authentisch werden kann. Nicht der für eine Leistungsgesellschaft typische „funktionelle“, wenngleich „reversible  Hirntod“ ist dafür geeignet, sondern das „Zu-sich-kommen“. –> Sendung vom 29.12.2019:

Musizieren taugt einerseits zum Zeitvertreib (ein Instrument „spielen“), ist aber bei künstlerischem Anspruch genauso Schwerstarbeit wie bildnerische Gestaltung. Beides erfordert „totales Anwesendsein“, um aus vielfältigen Eindrücken eine „Empfindungsgestalt“ entstehen zu lassen, die Speckmann zur „Extrakten Kunst“ verarbeitet und von der etwa Gustav Mahler sagt: „Das Wesentliche in der Musik steht nicht in den Noten“.
Laut Speckmannn besitzt jeder Mensch ein Grundgerüst zur Nutzung der speziellen Hirnfunktion Kunst. Künstlerische Therapien bemühen sich, im kreativen Tun von Patienten deren belastende Empfindungen zu erspüren und zu be“hand“eln, d.h., im manuellen Umgang mit Farbe und Pinsel oder mit einem Musikinstrument die Dissonanzen aufzulösen, was Novalis als Heilung ansah; für ihn „jede Krankheit ein musikalisches Problem“.
Das Wunder des Zusammenspiels von sensorischen und motorischen Sinnen und der Ein- und Auswirkungen der hoch komplexen Organe und Systeme des Körpers und ihrer Funktionalität im Hinblick auf das bisher nicht bekannte Eigenhirn erstmals naturwissenschaftlich – physikalisch und chemisch – entschlüsselt zu haben, ist das unschätzbare Verdienst von Erwin-Josef Speckmann. Die Kenntnis seiner Bücher ist entscheidend, wenn man künstlerisches Tun verstehen und fördern will.

s. Besprechung in MTK 2/2019: Erwin-Josef Speckmann: Das Gehirn meiner Kunst. Kreativität und das selbstbewußte Gehirn (2018) und Das Kunst-Ding. Braucht Kunst einen dinglichen Ausdruck? Ein Vorwort aus Hirnforschung und künstlerischer Praxis (2017).

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Prof. Dr. Mihule zum 90. Geburtstag

Wir gratulieren herzlichst zum Geburtstag!

In seiner Zeit als Vizepräsident der Karls-Universität Prag hat Prof. Dr. Jaroslav Mihule für die Etablierung des ersten Studiengangs zur multimodalen Kunsttherapie in Europa gesorgt. Zahlreiche deutsche Absolventen haben ihm zu verdanken, dass sie als Musik- oder Tanz- oder als Musik- und Tanztherapeutinnen und -therapeuten das Zeugnis dieser ältesten mitteleuropäischen Universität erhalten haben.

Die ungemein vielschichtigen Verdienste als Musiker, Musikwissenschaftler, Schriftsteller, Sportprofessor, Vizekanzler und Diplomat der Tschechischen Republik in den Niederlanden ist aus dem hier beigefügten Lebenslauf zu ersehen.

Trotz seines hohen Alters ist Prof. Dr. Mihule weiterhin wissenschaftlich tätig und  lehrt weiterhin an der Karls-Universität Prag.

Wir wünschen alles Gute, vor allem gute Gesundheit und weiterhin Schaffenskraft.

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Nachruf

Univ.-Prof. Dr. Peter Rech war der Musiktherapie bereits vor 1980 verbunden, als es darum ging, den unter meiner Nachfolgerin zweimal und nun endgültig eingestellten Studiengang Musiktherapie an der Universität Münster aufzubauen.

Auch an den BKMT-Symposien in Köln hatte er sich mit seinen unvergesslichen Workshops beteiligt.

Univ.-Prof. Dr. Karl-Heinz Menzen: Nachruf zum 5.12.2019

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Musik und Emotionen

Alles, was zur Wirkung bestimmter Akkorde und Harmonien und zu ausgewählten Musikbeispielen zur Sprache kommt, bezieht sich auf die Publikation „Musik und Emotionen – Studien zur Strebetendenz-Theorie“.Am 12.11.2014 hat der SWR2 aus den Forschungen von Danniela Willimek

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Choreographie der haltenden Umwelt

Überzeitlich gültiger Artikel von 1993, S. 33 – 56, mit freundlicher Genehmigung von Univ.-Prof. Dr. Georg Romer und des Hogrefe-Verlags Göttingen, eingescannt mit der App CamScanner. Siehe auch Romers Anmerkungen in meinem Artikel „Bewegungsbeobachtung und Bedeutungsanalyse als Grundlage eines Musik- und Tanzprofils“ auf S. 123 – 172 desselben Bands mit den von der 1937 aus Wien nach New York emigrierten Psychoanalytikerin Prof. Dr. Judith Kestenberg genehmigten Änderung ihrer psychoanalytischen Terminologie.

Um die damals schon betagte, noch immer fließend deutschsprechende Frau Kestenberg kennenzulernen und auf die Anwendung ihres Bewegungs-Profils für die Musik- und Tanzpsychologie zu befragen, war ich seit 1990 mehrmals nach New York geflogen. Sie hatte mit mir trainiert, mich mit z. T. unveröffentlichten Schriften reich beschenkt und mir den Kinderarzt Georg Romer empfohlen, den ich dann alsbald in einem seiner Workshops kennenlernte und dabei manche Gemeinsamkeit aus seiner und meiner sehr viel früheren Studienzeit in Freiburg erfuhr. Als Nachfolger von Prof. Dr. Fürniss (Konzertreifeprüfung für Flöte in Freiburg), Erstgutachter der von mir betreuten Dissertationen zur Musiktherapie, setzt er mit seiner Wertschätzung der Musiktherapie die Tradition am UKM Münster fort.
1985 erfolgte die erste Anstellung des inzwischen 60jährigen Musiktherapeuten in Münster in der Kinderklinik des UKM, psychosomatische Abteilung unter Prof. Dr. Ingeborg Jochmus, aufgrund des Engagements  der Univ.-Profs. Drs. Günther Schellong (Cellist, Direktor der Kinderklinik) und Clemens Sorg (Pianist und Kontrabassist, späterer Dekan des UKM und danach Rektor der Med. Univ. Innsbruck), beide Mitglieder des Orchesters der Deutschen Kinderärzte, anlässlich der von mir durchgeführten großen Kongresse zur Musiktherapie, über die in Zeitungen und im Fernsehen berichtet worden war. Als auch vom Ministerium in Stuttgart – wie später für den Musiktherapiestudiengang in Magdeburg – beauftragter Gutachter für den Diplomstudiengang Heidelberg 1986, vermittelte ich in dem von mir seit 1977 initiierten und später geleiteten Musiktherapiestudiengang dem inzwischen 60jährigen Musiktherapeuten, Absolvent der privaten FH Heidelberg, der 1989 von der MHS Hamburg das Musiktherapie-Diplom erhielt, 1985 einen Lehrauftrag. Näheres: Zur Geschichte der Musiktherapie in Münster und Dokumente. z.B. Münstersche Zeitung v. 16.10.1986 und MZ-18.7.1987-Verabschiedung-Musiktherapie

Das auf den Vorarbeiten von Rudolf Laban, dessen Eukinetik das erste tanzpsychologische Buch genannt werden kann, beruhende Movement Profile von J. Kestenberg bildet die Grundlage vieler Dissertationen zur Musiktherapie, wie z. B. derjenigen des  Absolventen meines Weiterbildungsstudiengangs  Dr. med. Riad A. Michael (Geyser) mit Prof. Dr. Arolt als Zweitgutachter und der Studienrätin und Dipl.-Musiktherapeutin Dr. Claudia M. Weber,  Fachsprecherin der Studentenschaft bei der Gründung des unter meiner 1990 als Studienrätin im Hochschuldienst, obgleich sie kein Lehramtsstudium absolviert hat, eingestellten und notgedrungen frühpensionierten Nachfolgerin 2010 und 2017 mangels Studierender eingegangenen  Musiktherapiestudiengangs, auf dessen Homepage eine Liste der Dissertationen und Habilitationen über musiktherapeutische Themen ausgestellt ist, in der die zahlreichen von mir als dem damals bundesweit einzigem Universitätsprofessor für Musik- und Tanzpädagogik und Musik- und Tanztherapie betreuten und bewerteten musiktherapeutischen Dissertationen und Habilitationen nahezu komplett unterschlagen sind, aus der jedoch umso augenfällig hervorgeht, dass der bei weitem größte Umsatz an musiktherapeutischen Dissertationen ganz wenigen Professoren zukommt, die entweder keinerlei berufsqualifizierenden Hochschulabschluss vorweisen können oder keine wissenschaftliche Hochschule oder keine Musikhochschule absolviert und allesamt nie konzertiert haben. Dabei existieren seit langem Studiengänge für Musikpsychologie, die sich allerdings kaum um musiktherapeutische Belange kümmern. Wer selbst weder die eine noch die andere Qualifikation besitzt, dürfte wohl kaum in der Lage sein, Diplom-, Masterarbeiten, Dissertationen und Habilitationsschriften zu beurteilen, noch dazu wenn Promotionsgutachter Honorarprofessor sind wie jener von mir bis zur leidvollen Aufklärung durch meine Studenten empfohlener „Ton-Arzt“ von energon, der kein Instrument spielt und dessen Habilitationsschrift als unwissenschaftlich abgelehnt worden war, aber von der MHS Hamburg mit dem begehrten Honorarprofessorentitel ausgestattet, wobei er die Zusatzbezeichnung „Honorar-“  ebenso unterschlägt wie andere dort aufgeführte Namen die erklärende Bezeichnung „apl.“. Doch die kraft Amts ausgestellten Titel wie „Dr. sc. mus.“ an Personen, deren Promotionsgesuche anderswo vergebens waren, sind gültig und öffnen in allen deutschsprachigen Ländern Tür und Tor für Professuren mit der Perpetuierung solcherart „Wissenschaft“, die die musiktherapeutische Landschaft flächendeckend vereinnimmt, so dass es nicht wundert, dass die Anerkennung von Musiktherapie durch Krankenkassen keine Aussicht hat. Wegen dieses Mainstreams hatte ich trotz größter Bedenken auch untragbare musiktherapeutische Habilitationen durchgewunken und zu einflussreichen Professuren verholfen, obgleich die Glücklichen keine Musikhochschule und auch kein Musikwissenschaftsstudium absolviert und teilweise nicht einmal ein klassisches Musikinstrument erlernt haben, geschweige denn den Tonsatz beherrschen. In Österreich müssen Habilitationsschriften nicht veröffentlicht werden. Univ.-Prof. Dr. Romer hat mich auf seinen ehemaligen Oberarzt Univ.-Prof. Dr. med. Dr. sc. mus. Thomas Stegemann hingewiesen. Er setzt das innovative Werk von Prof. Alfred Schmölz fort, mit dem ich bezüglich meiner musiktherapeutischen Tätigkeit in Freiburg bereits vor 1970, als er mir den Vortrag seiner Absolventin Karin Reißensberger, erheiratete Schumacher,  in Trossingen empfohlen hatte, intensiven Kontakt hatte. Bleibt zu wünschen, dass Stegemann (von der MHS Hamburg 2013 promoviert, seit 2011 ohne Habilitation Prof. für Musiktherapie in Wien) Romers Beitrag von 1993 aufgreift. Sehr zu empfehlen ist sein Buch „Was MusiktherapeutInnen über das Gehirn wissen sollten: Neurologie für die Praxis“.

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Das Symptom als Bild

Karl-Heinz Menzen (2018). Das Symptom als Bild. Neuropathologie der Wahrnehmung von A bis Z. Lengerich: Pabst Science Publishers. 206 Seiten. ISBN 978-3-95853-09585-369-4

Mit dem Symptom als Bild befasst sich dieses überaus kenntnisreiche Werk des singulär umfassend gebildeten Autors. Erstmals zeichnet ein Buch die Entwicklungslinie von der Sprachphilosophie zur Neurologie der Wahrnehmung und ihren pathologischen Formen auf. Dieses sensationelle Buch des habilitierten Philosophen, Diplom-Theologen und Diplom-Psychologen und sichtlich neurobiologisch versierten Karl-Heinz Menzen, Pionier und Verfechter einer wissenschaftlich fundierten Kunsttherapie, betrifft alle künstlerischen Therapien, durchaus auch die Musiktherapie. Musik erzeugt am unmittelbarsten Stimmungen und Gefühle. Ihre Erkenntnis aber ist auf das Auge angewiesen. Wissenschaft wie auch Bewusstsein leiten sich schließlich von ihrem Stammwort videre = sehen ab. Was wir sehen, lässt sich aber keineswegs immer in Worten beschreiben. „Das Wesentliche in der Musik steht nicht in den Noten“, sagte Gustav Mahler. „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“, heißt ein Sprichwort. Wie hochkomplex diese vermeintlich lapidare Erkenntnis ist, leitet Menzen anhand von Beispielen aus der Malerei selbst und vor allem aus den sprachphilosophischen Theorien her, wobei er stets vorweg durch Fragen motiviert und es ihm somit gelingt, die Gedankengänge etwa von Wittgenstein, Cassirer, Peirce, Mitchell bis hin zu Lacan und Damasio verständlich darzustellen. Er zitiert Caspar David Friedrich: „Ein Bild muss nicht erfunden sondern empfunden seyn.“ Menzen kommentiert: „Der Maler spricht von Grundtönen, die sich im Gemüt des heranwachsenden Kindes widerspiegeln; die kompositorisch zusammenzusetzen sind, die die Facetten der Gemütsempfindungen in der Folge auf die Vorstellung übertragen. In seinem Mal-Entwurf sind die Raum-, Farb-, Licht, Flächen-, Bewegungs- und Formelemente so zu konstituieren, zu komponieren, dass sie einen empfindungs- und gefühlshaften Wirkungszusammenhang darstellen. Caspar David Friedrich begründet mit  solcher Ansicht die Anfänge eines semiotischen Modells des künstlerischen Schaffens“ (29). Menzen zeigt die von Antonio Damasio erforschte Entwicklung zur neuronalen Vernetzung über das ikonische, indexikalische und symbolische Zeichen bis hin zu ihrem Auftreten im Verbund im Bild, dem hybriden ikonischen Zeichen. Er spürt dem „neuronalen Netzwerk von Schemata nach, das die Eindrücke, die visuellen, akustischen, taktilen und kinästhetischen, d.h. die propriozeptiven und motorischen Wahrnehmungsstimuli miteinander verschaltet“ und „die einlaufenden Eindrücke der Wahrnehmung von den im Hirnstamm angesiedelten Neurotransmitter-Produktionsstätten (Serotonin, Noradrenalin, Dopamin, Histamin u.a.) angesteuert, gefiltert und je nach Erfordernis mit eben den verschieden getönten Neurotransmitter-Molekülen (glücklich, zornig, höchst erregt u.a.) assoziiert und über den Thalamus an die jeweiligen spezifischen Areale zur Weiterverarbeitung geschickt werden. … Was bislang psychoanalytisch als in dem sich offenbar entziehenden Bereich des unbewussten Wahrnehmens und der Erkenntnis nicht zugänglich erschien, war entwicklungsneurologisch geklärt: Die diversen visuellen, lautlichen, berührungs- und körpergefühlshaften, auch die visceralen Eindrücke unserer Wahrnehmung werden neurotransmitterhaft nicht nur weitergeleitet, sondern sozusagen gefühlsmäßig eingefärbt, getönt und mittels des regulatorischen Neurotransmitters und Hormons Histamin, das gleichermaßen im Hirnstamm angesiedelt ist, zum Thalamus und damit zur Weiterbeförderung in die spezifischen Areale weitergeleitet (nach Maßgabe von: Takt, Rhythmus, Intensität, Gerichtetheit, Geschwindigkeit)“ (30). Zu bedenken sei stets, „dass der kulturspezifische Kontext der zeichen- und symbolhaften Ausdrucksformen, hier besonders: die symbolischen Äußerungen, wesentlich in und durch diesen Kontext definiert sind“ (32).

Menzen versteht es meisterhaft, mit symbolträchtigen Geschichten, oftmals auch aus seiner eigenen Kindheit den Leser zu fesseln und die abstrakt anmutenden Berichte zu konkretisieren.

Auch als Saxophonist seit Kindertagen und häufiger Besucher erlesener Konzerte kennt Menzen die Wirkungsmacht von Musik, Wort und Bild. Immer wieder nutzt er die Sprache zur Herausstellung des Verbindenden von Spannungen (tonoi) als physiologische und psychologische  Phänomene und Verhaltensweisen und ihren Korrelaten in Struktur und Wirkung von bildnerischem und musikalischem Material im Sinne einer übergreifenden, ihre Energetik herausstellenden Ton-Psychologie[1], wie sie für eine multimodale Kunsttherapie unverzichtbar ist und ja auch das Anliegen dieser Zeitschrift trifft, die zum Blick über den Zaun des eigenen Fachgebiets anregen will.[2]  In seiner hochdiffizilen hirnphysiologischen Herleitung von emotionaler Bewertung spricht er von „Tönung“ und verwendet diesbezüglich anschauliche Zitate wie jene von der „Bühnenmaschinerie für das ‚Privattheater‘ des Bewusstseins“, der „spielerischen Wort-Bild-Suche“ oder „mentalen Resonanzräume (vertraute, individuell geprägte soziale, politische, religiöse etc. innere Schutzräume)“, wie sie nicht nur für das Vorstellen, Erleben und Erinnern von Bild- und Klangräumen, sondern auch für die auf Fantasiebildung angewiesene Resonanzpädagogik[3] von Bedeutung sind. „Die Erzeugung von Bildern steht mithin in einem größeren Zusammenhang mit dem tiefen menschlichen Bedürfnis nach Ordnung und Sinn“ (S. 76).

„Ca. 80% des Gehirns dienen der Analyse und Verarbeitung visueller Informationen. … Aber wir wissen auch, wie in jedem Augenblick der visuellen Wahrnehmung das gesamte Gehirn und das heißt die Areale des Gehirns in ihrer Vielzahl parallel verschaltet sind und miteinander vernetzt werden“ (S. 58). Anschaulich beschreibt Menzen, wie „vor allem zwei Subsysteme parallel sowohl die visuellen Objekte auf dem sog. unteren ‚ventralen‘ Pfad in Richtung Schläfenlappen identifizieren und deren Verortung, d.h. ihre Bewegung im Raum, ihre Form und Struktur auf dem sog. oberen ‚dorsalen‘ Pfad dekodieren “ (S. 58) und wie schon die frühkindlich vorprogrammierte und funktionell aufeinander abgestimmte Koordination der Reflexe wie in einem Konzert aufeinander abgestimmt werden“ (S. 59).  Das „Konzert der Sinne“ betrifft das vestibuläre Gleichgewichtssystem, dass taktile System, kinästhetische System wie auch die auf die visuelle Wahrnehmung, das Hören, das Riechen und Schmecken bezogenen Sinne (S. 61).

Das Buch beginnt mit einer ausführlichen historischen Rückblende zum Symptom als Bild und ist in sieben Kapitel mit zahlreichen logisch aufeinander aufbauenden gehaltvollen Unterkapiteln gegliedert:

  1. Was Bilder sind und woraus sie gemacht sind – Peirce, Wittgenstein, Cassirer und Mitchell – Sprachspiele und die Bilder des Alltags

1.1.    Ich mache mir ein Bild

1.2.    Von einfachen und komplexen Bildern

1.3.    Am Anfang ist etwas Markantes, eine Markierung, eine Perspektive

1.4.    Von Bildern im Kopf – ein Wahrnehmungs- und Vorstellungsakt

1.5.    Von Zeichen und Symbolen – und was im Gehirn vor sich geht

1.5.1. Eine kleine Zeichen-Lehre: Grundlagen der neuronalen Vernetzung:

1.5.2.  Die semiotische Sicht von Peirce

1.5.3.  Neuere psychologische Aspekte der kindlichen Entwicklung

1.5.4.  Prä- und symbolische Aspekte

1.5.5.  Der symbolischer Akt

  1. Von den Bildern im Kopf – neurogenetische Aspekte

2.1.    Am Anfang ist ein Eindruck – Stationen der Wahrnehmung

2.1.1.  Station 1: Im Auge des Betrachters: Die Netzhaut

2.1.2.  Station 2: Wahrnehmung – ein Produkt der genetischen und epigenetischem Redaktionsbereitschaft

2.1.3.  Station 3: Umschlagplatz der Sinneswahrnehmungsproduktion: das Corpus Geniculatum Laterale als Teil der thalamischen Kerne

2.1.4.  Station 4: Produktverteiler Sehzentrum: Vom Management der Sinne und der Integration der Sinnesmerkmale

2.1.4.1.             Neurologische und neurobiologische Mitspieler der Muster- und Gestaltbildung

2.1.4.2.             Eine Diskussion um die integralen Vorgaben des Gehirns

2.1.4.3.             Zum neurologischen Ablauf von Sinnes Integration und Synchronisation

2.1.5.  Station 5: neuronale Hilfestellungen – Enthorinaler Cortex, Gyrus Angularis und Precuneus

2.1.6.  Konferenz der Sinne 1: Zusammenarbeit des Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens, Sich-Fühlens, sich-Bewegens

2.1.7.  Konferenz der Sinne 2: Sinnliches Wahrnehmen als szenisches Verstehen

  1. Das Bild als Symptom – Störungen des Wahrnehmungseindrucks

3.1.    Sensorische, motorische, kognitive und emotional stimulierende Signalmuster mit Störungswert

3.2.    Erfahrungsunabhängige Mutation oder erfahrungsbedingte und in der Folge erfahrungsverändernde Epigenese – am Beispiel eines Fragilen-X-Syndroms und eines traumatischen Erlebnisses

3.3.    Wie die Epigenese mittels der Methyliehrung das Zustandekommen und den Gebrauch der Bilder beeinflusst

  1. Neuropathologie der Wahrnehmung – Versuch eines Überblicks

4.1.    Inklusionäre Aspekte der Wahrnehmungsstörung

4.2.    Demenzielle Aspekte der Wahrnehmungsstörung

4.3.    Psychosomatische Aspekte der Wahrnehmungsstörung

4.4.    Psychiatrische Aspekte der Wahrnehmungsstörung

4.5.    Persönlichkeitsstörungsaspekte der Wahrnehmungsstörung

  1. Von gelingenden und misslingenden Eindrücken des Lebens

5.1.    und 5.2. Wenn der erste Eindruck des Lebens gelingt – neurogenetische Aspekte 1 und 2: Sensorische, motorische, kognitive und emotive Bildintegration

5.3. Wenn der erste Eindruck des Lebens misslingt – neuropathologische Aspekte 3: Sensorisch, motorisch, kognitiv und emotiv gestörte Bildintegration

5.3.1 Aus der klinischen und pädiatrischen Praxis mit wahrnehmungsgestörten Menschen

5.3.2 Von dem Versuch, das Vor- und Noch-nicht-Bewusste des Patienten zu erreichen

5.3.2.1 Bewusstseinsmodalitäten und das Vorbewusste im Blick der klinischen Praxis

  1. Von den Wahrnehmungsstörungen und einer neu zu definierenden Rolle der Psychopathologie
  2. Eine Zusammenfassung – Das Symptom als Bild

7.1.    Das Symptom in den Bildern sprechen lassen

7.2.    Das Symptom, eine zuweilen nicht wieder zu erkennende Verwendung des Psychischen

7.3.    Symptome im Bild – und ihre Aussagekraft

7.3.1.  Das Symptom – als verkörperter Ausdruck früher neuronaler Prägung

7.3.2.  Das Symptom – als psycho-emotional und neuronal erlebter Ausdruck von Beziehung

7.3.3.  Das Symptom – als sich genetisch-neurobiologischer Ausdruck

7.3.4.  Das Symptom – als fixierender Ausdruck einer ungewöhnlich verlaufenden subjektiven Sozialisation

7.3.5.  Das Symptom – als fiktionales, nicht künstlerisches Bild

7.3.6.  Schlussbemerkung

Es folgen eine umfangreiche Literaturliste und ein ausführliches Glossar und Sachverzeichnis.

Das Kapitel 7 ist mit 19 gut verständlich analysierten Bildern aus Menzens Praxis als Klinischem Psychologen mit Approbation zum Psychologischen Psychotherapeuten (Zulassung in Dtl. und Österr.) und seinen kunsttherapeutischen Projekten ausgestattet.

Wie präzise Menzen vorgeht, zeigen auch seine für die künstlerisch therapeutische Praxis sinnfällig gegliederten tabillarischen dreispaltigen Übersichten zu Diagnose/Phänomene: Behinderungen wie Epilepsie, Down Syndrom, Autismus, ADHS, Angelman-Syndrom, Fragiles-X-Syndrom, Folgen der Meningitis-Hirnhaut-Entzündung, jeweils mit ausführlich dargestellten Beispielen und Bild-therapeutischen Hinweisen. Umfangreich sind die Formen der Demenz wie Ischämische Hypoxie, Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma und Alzheimer-Krankheit, wiederum mit klaren Bild-therapeutischen Hinweisen, dargestellt. Nicht weniger ausführlich beschreibt er psychosomatische Erkrankungen und nennt Bild-therapeutische Möglichkeiten, wiederum mit berührenden, als Bilder bezeichneten und von ihm analysierten Geschichten aus seiner eigenen Kindheit und Studentenzeit und aus der Kindheit, von der ihm seine Patienten berichtet haben. Spannend auch seine tabellarische umfassende Auseinandersetzung mit den Formen auffälligen Verhaltens und den diversen Persönlichkeitsstörungen. Hier ein Beispiel zur Selbstverletzung: „… andauernde erhöhte Cortisol- und damit verbunden: in Alarmbereitschaft versetzende, Noradrenalin- und erregende Glutamat-Ausschüttungen konstellieren auf Dauer das Gehirn im neuronalen Kontext von handlungsorganisierendem Vorderhirn, von Gefühls vermittelndem singulären Kortex, von für die Abwehr von Bedrohungen zuständigen Amygdala, erinnerndem Hippocampus und erregungsorganisierendem Hypothalamus …“ (133). Mehrere Seiten beansprucht die Tabelle zum Trauma und zur Prosttraumatischen und Belastungsstörung PTBS. Anhand von Berichten zum Aufwachen aus dem Koma deuten die Worte einer Patientin auf multimodale künstlerisch therapeutische Assoziationen hin, wenn sie sagt: „Bilder erschienen und verschwanden wieder, Begriffe, Wörter, Töne kamen und vergingen wieder. … Bald tanzten die Striche vor meinen Augen herum … das Tanzen der Buchstaben und Figuren …“ (157).

Menzens ungemein lehrreiches Kompendium eignet sich für jede Art von künstlerisch therapeutischer Praxis. Trotz seines sehr anschaulich gestalteten Schemas von Wahrnehmungsvorgang, Stationen und Orte der Verschaltung (S. 44) erscheint es wegen der vielen hirnphysiologischen Fachbegriffe empfehlenswert, einen Anatomieatlas bzw. die entsprechenden Bilder aus dem Internet heranzuziehen.[4]

[1] Hörmann, K. (2014). Ton-Psychologie. In MTK 1, S. 81-111.

[2] Der Nutzen von Menzens detaillierter Herleitung des Zeichensystems und seiner neoronalen Wirkungen lässt sich beim Musizieren und Musikhören ständig aufgreifen, insbesondere wenn ein zwischen den Tonfolgen zunächst nur angedeutetes und dann in seiner bekannten Form erscheinendes Zitat den Gehalt einer Komposition evtl. entschlüsselt und ihre Platzierung auf die tieferliegende Gesamtbedeutung hinweisen kann, wie dies in dem z. T. in den beiden regnerischen und kalten Wintermonaten 1838/39 in einem heizungslosen Kloster  der vertriebenen Kartäuser in Valldemossa auf Mallorca komponierten Zyklus der Préludes Op. 28 des an Tuberkulose erkrankten Frédéric Chopin nach einem eröffnenden fulminanten „Agitato“ in C-Dur im 2. Stück die noch immer auf dem dominantischen Quart-Sext-Akkord basierenden Takte 15 – 17 verraten, in denen die ersten zwei wiederholten Worte von „Dies irae dies illa, solvet saeclum in favilla“ erstmals in der gregorianischen Reinform erscheinen (wenngleich transponiert vom gregorianischen Original f e f d) und auf den im Schlusstakt erstmals in seiner Grundform auftauchenden Akkord hinführen, der sowohl optimistisch als auch pessimistisch empfunden werden kann und in seiner Wirkung auf das dementsprechende psychosomatische Befinden auf vielerlei unterschiedlich beeinflussbaren neuronalen Vorgängen beruht. Wie das Bild ist Musik ja geistfähiges Material mit dem Potential zur selbstregulierenden Einstellung, wie sie sich auch in der interpretatorischen Gestaltung und vom sensiblen Hörer nachvollziehbar artikulatorisch verklangsinnbildlichen lassen, woraus sich der methodische Ansatz des diagnostischen, erlebnisvertiefenden und handlungsaktivierenden Singens und Musizierens in der Musiktherapie mit den Stufen Remoralisierung, Remediation und Rehabilitation ergibt und Kriterien zur Auswahl aus der Vielfalt von Musikaufnahmen ermöglicht. – Erwähnt sei auch das in jener unwirtlichen Mönchszelle komponierte sog. Regentropfen-Prélude, wo in den dissonanzreichen Takten 61- 63 die Textzeile „voll Schmerz und voller Hohn“ aus „O Haupt voll Blut und Wunden“ zitiert ist; sie kann als Hinweis auf das Elend des Komponisten in dieser Zeit, aber ebenso gut als Andeutung von Humor aufgefasst werden.

[3] Rosa, H. & Endres, W. (2016, S. 7): „Was ist an dieser Resonanzpädagogik das Besondere, »das Neue«? Führt der Weg von Performanz und Kompetenz zur Resonanz? Dazu ein kurzer Rückblick: Den Begriff Performanz hat John L. Austin in den 1960er-Jahren geprägt und bezeichnete damit ein beobachtbares Verhalten. Schüler sollten nicht nur Können erwerben, sondern das Können auch zeigen. 20 Jahre später rückte Noam Chomsky, der renommierte Sprachwissenschaftler, die Kompetenz als Gegenstück zur Performanz ins Blickfeld. Von da an werden Performanz und Kompetenz als Komplementärbegriffe gesehen. »Kompetenzen werden im Modus der Performanz erlernt und evaluiert […]. Die dem schulischen Fächerkanon zugrundeliegenden Modi der Welterschließung eröffnen dabei unterschiedliche Perspektiven der Weltwahrnehmung […].« Hartmut Rosa geht einen Schritt weiter. Er beschreibt Welterschließung nicht durch Kompetenzerwerb, sondern durch Resonanz: »Kompetenz und Resonanz sind zwei ganz verschiedene Dinge. Kompetenz bedeutet das sichere Beherrschen einer Technik, das jederzeit Verfügen-Können über etwas, das ich mir als Besitz angeeignet habe. Resonanz dagegen meint das prozesshafte In-Beziehung-Treten mit einer Sache. […] Resonanz enthält ein Moment der Offenheit und der Unverfügbarkeit, das sie von Kompetenz unterscheidet. Kompetenz ist Aneignung, Resonanz meint Anverwandlung von Welt: Ich verwandle mich dabei auch selbst.«“

[4] Z. B. das Youtube-Video zu Gerhard Roth „Wie das Gehirn die Seele macht“ und das gleichnamige Video mit Graphiken und Kommentaren zum Gehirn. Besonders zu empfehlen ist das Buch von Thomas Stegemann (2018). Was MusiktherapeutInnen über das Gehirn wissen sollten. Neurobiologie für die Praxis. München: Reinhardt-Verlag

Die Rezension ist erschienen in der MTK 2, 2018.

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Welches Buch?

Die Frage, welches Buch, wird oft gestellt. Die Antwort lautet meist: Prinzipiell jedes Buch, wenn beim Lesen Folgendes beachtet wird: Obgleich künstlerische Therapeuten hervorragende Arbeit leisten, gibt es zu den betreffenden Gebieten relativ wenige wissenschaftlich zu nennende Publikationen. Schließlich erfüllen nicht einmal alle Professoren für Musik- oder Kunsttherapie die Voraussetzungen, die laut Hochschulgesetzen für eine Berufung und somit auch für eine qualifizierte und kompetente Lehrtätigkeit gelten müssten.[1] Zur Tanztherapie gibt es hierzulande eine einzige, noch dazu promovierte Professorin mit einem an der Musikhochschule absolvierten Tanzstudium und einem abgeschlossenen Universitätstudium. Schriften zu künstlerischen Therapien sind häufig Qualifikationsarbeiten wie Diplom-, Bachelor-, Master-, Examensarbeiten und Dissertationen.[2] Oft handelt es sich um euphorische Erfahrungsberichte, deren Erkenntniswert wegen ihrer fehlenden Generalisierbarkeit oftmals gering ist.[3]  Eine geschäftstüchtige Anbieterin, die 1986 von mir promoviert werden wollte, hat gar ein auch von weiteren mit ihr gleichgesinnten Inhaberinnen privater Angebote propagiertes System mit Copyright versehen, obgleich es die von mir in den USA mehrfach aufgesuchte Autorin selbst für gänzlich überholt bezeichnet und mir ihr diesbezügliches dickleibiges Buch von 1967 geschenkt hatte. Aus den bisweilen vorbildhaften Berichten erfahrener Praktiker zu ihren Methoden ist jedoch viel zu lernen[4]. Gleichwohl sollte jede nicht evtl. als Poesie wertbare Lektüre den Kriterien unterworfen werden, die für wissenschaftliche Publikationen gelten. Eine Richtigstellung der Wikipedia-Artikel etwa zum Begriff „Künstlerische Therapie“ und vor allem zur Tanztherapie wird meist noch am selben Tag gelöscht. Die zahlreichen Proteste z. B. des Medienanwalts Markus Kompa waren vergebens. [5a] [5b]

Musik-, Tanz- und Kunsttherapie sind als Angewandte Musik-, Tanz- bzw. Kunstpsychologie in der doppelten Bedeutung der Begrifflichkeit als Analyse der Wirkungssubstanzen und des Gehalts des Mediums und als Lehre von seiner Funktionalisierung als modifizierfähiges Pharmakon im Sinne der Heilkunde zu verstehen. Mit den beiden Begriffspolen sind also einerseits die Gegebenheiten beim Patienten, dessen Disposition und Erleben als ein metaphorisches System von  wohltuend stimmiger oder aber krankmachend chaotisch dissonanter innerer Repräsentation zu betrachten und andererseits das in der Einzel- und Gruppentherapie im Hinblick auf die individuellen Therapieziele des jeweiligen Patienten geeignete Medium zu funktionalisieren. Novalis (1772 – 1801) vertrat ja bereits die Auffassung: „Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem, die Heilung eine musikalische Auflösung.“ Und Friedrich Nietzsche hatte schon empfohlen: „Trau keinem Satz, der im Sitzen geschrieben ist“, ganz zu schweigen von Mary Wigman (1896-1973), auf die sich die Tanztherapie beruft. Und wie Gustav Mahler (1860-1911) „Das Wesentliche in der Musik steht nicht in den Noten“ sagt auch Paul Klee (1879 – 1940): „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern Kunst macht sichtbar.“ Dazu aber sollte die Zusammensetzung der Wirkungssubstanzen und der immanente Gehalt eines künstlerischen Mediums unter Anwendung der vier Stufen wissenschaftlicher Analyse erschlossen und die für sein Wirkungspotential maßgebende Hierarchie immanenter und interpretatorischer Parameter im individuumsorientierten Umgang mit ihnen so verwendet und unter Berücksichtigung der vier Modi künstlerischer Interpretation gestaltet werden, dass sie je nach Bedarf sowohl eine remoralisierende, remediatisierende oder rehabilitierende bzw. eine diagnostische, erlebnisvertiefende oder handlungsaktivierende Funktion haben kann. Wer unter diesen Aspekten Erfahrungs- und Forschungsberichte liest und zuvor eine konkrete patientenbezogene Mediumsanalyse im Sinne von Psychologie als wissenschaftlicher Lehre vom Repräsentantem seines  inneren künstlerischen Tuns betreibt, für den kann jede diesbezügliche Lektüre bereichernd sein; schließlich lassen sich an ihr die Fertigkeiten in der Anwendung der beiden Seiten einer  Angewandten künstlerischen Psychologie trainieren, wie sie etwa in dem Buch „Musik in der Heilkunde. Wissenschaftliches Lehrbuch Musiktherapie“ beschrieben sind, aber wegen seines Abstraktionsniveaus nur im dazugehörigen Weiterbildungsstudium systematisch erlernt werden können und im Beruf oder auch im Alltag immer wieder trainiert werden müssen, bis der erstrebte Therapieerfolg erfahrungsgemäß erreicht wird.

[1] Der Leiter dieses Weiterbildungsstudiums dagegen hat sich nicht nur bereits als Student mit künstlerischen Medien befasst und sich bei Vorbildern umgesehen. Er hat habilitiert, zweimal promoviert, noch dazu mit „summa cum laude“, drei Musikhochschulabschlüsse, langjährige Erfahrung als konzertierender Musiker und als Lehrender an Medizinischen Fakultäten. Wenn man logischerweise Therapie als nachträgliche Pädagogik (Ruth Cohn, 1970) versteht, dann kommen ihm auch sein 1. und 2. Staatsexamen und seine hauptamtliche Tätigkeit am Gymnasium wie auch seine nebenberufliche, unentgeltlich erbrachte jahrelange Unterrichtstätigkeit an Grund- und Realschulen, seine Betreuung von Schulpraktika in der Lehrerausbildung und seine Tätigkeit in Kindergärtnerinnenfortbildungen und als künstlerischer Therapeut mit Heilpraktikerzulassung und als Supervisor für künstlerische Therapien an einer großen Klinik für Psychiatrie zugute.

[2] Wie die Liste der Dissertationen und Habilitationen über musiktherapeutische Themen zeigt, wird großenteils bei Personen promoviert, die entweder keine Musikhochschule oder keine Universität oder beides nicht absolviert haben. Viele von mir begutachteten Dissertationen und Habilitationen sind in der Liste nicht vertreten. Vertreten ist dagegen eine Oberstudienrätin im Hochschuldienst, die jedoch kein Lehramt studiert und weder als Referendarin noch als Studienrätin in der Schule unterrichtet hat. Mit einigen Artikeln kumulativ habilitiert wurde sie 2005 auf Antrag einer Professorin, die ihr Amt ohne Habilitation erlangt hat, und betreut nun als apl. Professorin, die den Zusatz „apl.“ legalerweise geflissentlich weglässt, Promotionen und offensichtlich sogar eine Habilitation. In jener Liste  fehlt wiederum die Habilitationsschrift eines einflussreichen österreichischen Musiktherapieprofessors, in der er die Lehre seines wahrhaft charismatischen Sufimeisters Dr. Rahmi Oruc Güvenc verwirft. Angesichts der Verhältnisse in Deutschland hatte ich sie in meinem im Auftrag der Univ. Wien erstellten 16seitigen Gutachten befürwortet, obwohl er das Musiktherapiestudium bei mir bereits nach dem 1. Semester abgebrochen hatte. Seine Dissertation ist mir nicht bekannt. In Österreich müssen Dissertationen und Habilitationsschriften nicht veröffentlicht werden. Dissertationen können dort an den betreffenden Universitätsbibliotheken eingesehen werden.

[3] Ein dagegen in jener Liste aufgeführtes, gleichzeitig an der einen Universität als Magisterarbeit und an einer anderen Universität als Dissertation eingereichtes Buch mit einem jeweils anders lautenden Titel zur Musiktherapie, aber nahezu vollständig mit von mir stammenden, längst veröffentlichten Texten, Vorträgen und Seminarpapieren hatte zum Erreichen einer Universitätsprofessur und damit erstmals festen Anstellung gedient. Dass die Texte nicht Musiktherapie, sondern Tanznotation und Tanzdidaktik betreffen und die Buchtitel mit dem Inhalt nichts zu tun haben, war den getäuschten Universitäten nicht aufgefallen. Wegen eines gegen diesen mit zahlreichen Titeln ausgestatteten Lehrstuhlinhaber eröffneten Disziplinarverfahrens anlässlich einer Mitarbeiterin, die sich seinetwegen nicht scheiden lassen wollte, hatte er gegen seine Universität und ihren Präsidenten jahrelang erfolglos prozessiert. Auch den gegen mich geführten, keineswegs letzten seiner zahlreichen Prozesse hat er am 26.2.2018 vor dem Oberlandesgericht Hamm verloren. Daraufhin prozessierte er bis zum Bundesgerichtshof und hat am 04.06.2019 auch dort verloren. Am 18.7.2017 hatte er gegen einen Hamburger Musiktherapieprofessor beim dortigen OLG verloren. Obgleich allein schon die Straftat eines mit Betrug erworbenen Doktortitels nicht verjährt, werden ihm die gemäß Gesetz zu entziehenden  Titel und Beamtenrechte belassen. Die von ihm ermöglichten Doktortitel bleiben ohnehin gültig.

Es gibt in den künstlerischen Therapien zahlreiche krasse Fälle. Eine Ausbildungsleiterin und als unprofessorabel abgewiesene Bewerberin wurde zum „Dr. med.“ promoviert und fand eine Anstellung an einer Universität, obgleich sie für die rechtswidrige Führung ihres von einer Privathochschule ausgestellten, nirgendwo anerkannten M.A.-Titels, auf der ihre Promotion beruht, zu einer drastischen Strafe verurteilt worden war. – Ein singulärer, weltweit renommiertester Musiktherapeut hat kurioserweise an seiner Institution zwar Promotionsrecht auch für Musiktherapie, darf  das Fach aber wegen des an der benachbarten Hochschule von einer Sozialpädagogin ohne Musik- oder Musiktherapiestudium geleiteten Musiktherapiestudiengangs nicht lehren, lehrt dagegen Musiktherapie in anderen inner- und außereuropäischen Ländern als Direktor des Forschungsinstituts für Künstlerische Therapien an Chinas Eliteuniversität Beijing Normal University und als Direktor des Musiktherapiestudiengangs an der Universität in Shanghai.

[4] Ein eher knapper Bericht in der Südwest Presse vom 24.8.2018 etwa zeigt bereits unschwer, dass die an der Universitätsklinik in Ulm tätige Diplom-Psychologin mit absolviertem Musiktherapiestudium in jeder Hinsicht vorbildlich musiktherapeutisch arbeitet. Auf den Doktortitel, der bei den in der Fußnote 2 erwähnten Liste genannten führenden Titelvergebern leicht zu erhalten ist, ist sie nicht angewiesen. Auch unter meinen Absolventen habe ich manche in erster Linie um das Wohl der Patienten besorgte exzellente Praktiker kennen und schätzen gelernt. Hier mit freundlicher Genehmigung von Nicola Scheytt und der „© Südwest Presse Ulm, Fotograf:..“ die Verlinkung auf den dort erschienenen Bericht.

Eine Meldung vom 5.9.2018 zur Inflation von Dissertationen: „Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Peter-André Alt, hat die hohe Zahl von etwa 30.000 Promotionen pro Jahr in Deutschland kritisiert. „Diese Entwicklung müssen wir kritisch hinterfragen“, sagte Alt dem „Handelsblatt“ aus Düsseldorf vom Mittwoch. Eine Promotion sei in Deutschland attraktiv, weil sie bei der Karriere helfe. Doch die Hochschulen brauchten „diese Masse“ nicht. „Am Ende bleibt nicht einmal jeder fünfte in der Wissenschaft“, sagte Alt.

Dazu passt die seit Jahren und am 8.1.2019 in den WN wiederholte Pressemeldung „Das geschenkte Einser-Abitur„, das die Akademikerschwemme und das Fehlen von Praktikern bedingt. Das deutsche Gymnasium gilt im europäischen Ausland als Ersatz für die weitgehend abgeschaffte Hauptschule. Während früher ein Dr.-Titel durch Anfertigen einer Dissertation erworben werden musste, ist in z. B. NRW die Anwesenheitspflicht abgeschafft, gibt es inzwischen kumulative Promotionen und wurden Promotionsstudiengänge mit Anwesenheitspflicht eingerichtet, die die Betreuung von weit weg Wohnenden meist verhindert. Für eine Masterarbeit werden z. T. nur noch maximal 50 Seiten verlangt, was immer noch die Anforderungen zum Master in den USA übertrifft, wo eine zehn Seiten umfassende Literaturliste für die Bewertung durch eine Lehrbeauftragte und eine Studentin ausreicht, wie eine mir zwecks Bewerbung an meinem Institut eingereichte M.A.-Abschlussarbeit zeigt. Patienten und Kliniken mit Ärzten mit üblicherweise wenigen Seiten umfassenden Dissertationen legen auch bei künstlerischen Therapeuten mit Diplom oder M.A. oder Dr. nicht Wert auf akademische Titel. Künstlerische Therapeuten zählen meist nicht zum wissenschaftlichen Personal wie Psychologen und Ärzte, sondern zu den nichtwissenschaftlichen Mitarbeitern. Um solch eine begehrte Stelle zu erhalten, werden eine gute Ausbildung und Befähigung zur Praxis gefordert, wie sie nur Lehrende vermitteln können, die über die umfassenden Qualifikationen verfügen, die man aber selten an Hochschulen findet, auch wenn sie die Bezeichnung „Professor“ führen, tatsächlich aber z. B. „Studienrätin im Hochschuldienst“ sind, noch dazu ohne ein Lehramtsstudium absolviert zu haben. Es empfiehlt sich, den Werdegang von Anbietern genauer anzusehen. Studienzeit ist schließlich kostbare Lebenszeit. – Wer aber unter Musiktherapie ohnehin nur „vibrierende Entspannung“ mit Klangschalen oder Klangliege versteht, braucht dafür kein Studium. Doch ist daran einerseits die in der MTK 2008 beschriebene Inflation der Bezeichnung „Künstlerische Therapien“ zu ersehen, andererseits aber auch wie vielseitig Angewandte künstlerische Psychologie (Musik für die Psyche usw.) verstanden wird und keineswegs strenger Wissenschaftlichkeit bedarf, zumal die momentan dominierende maschinengenerierte Hirnforschung[1] bereits 2012 jährlich 40.000 Veröffentlichungen erbracht hat. Um die Flut der durch die Möglichkeiten von EEG und MEG, der Computertomographie in Form von PET, fMRI, TMS und Multiphotonen-, konfokalen Mikroskopie und Optogenetik usw. zur Kenntnis zu nehmen, reicht nicht die Lebenszeit. Der Laie hat ohnehin keinen Zugang zu einem fünf Tonnen wiegenden, bereits 2013 drei Millionen € teuren Kernspintomographen[2].

Natürlich sollte auch ein Praktiker die Forschungslage verfolgen, selbst wenn er oftmals nicht findet, was ihm wichtig ist. So z. B. sucht man trotz des Umfangs des von Lehmann & Kopiez 2018 herausgegebenen Handbuchs für Musikpsychologie von 800 Seiten nach einigen für die Praxis der Musiktherapie wichtigen Autoren und Phänomenen vergebens. Es erscheint daher angebracht, sich  gemäß Altenmüllers Erkenntnis, wonach ein guter Unterricht seit jeher ohne solche Messergebnisse auskommt, anderweitig in der Musikgeschichte umzusehen und Erfahrungen aus der Lebenswelt zu nutzen. Vor allen sollten künstlerische Therapeuten den Austausch mit anderen kompetenten künstlerischen Therapeuten pflegen, um über den engen Zaun seines Spezialgebiets zu schauen, was der Zweck der „Wissenschaftlichen Gesellschaft“ von 1984 ist. Dass darin die oben erwähnten „Koryphäen“ keine Chance haben, versteht sich von selbst.

[1] Spitzer, M. (2012). „Gehirnforschung für die Schule“ (9.2.2012) https://youtu.be/R1eOd4mNUEQ

[2] Spitzer, M. (2013). Lernen – Die Entdeckung des Selbstverständlichen. [zur „Metakognitiven Kernkompetenz“] https://www.youtube.com/watch?v=CujLrwHbYtY&t=4057s

[3] Altenmüller, E. (2018). Vom Neandertal in die Philharmonie. Warum der Mensch ohne Musik nicht leben kann. Berlin: Springer.

[5c] Wikipedia – MusiktherapieBlogMusiktherapieBlog (kreativtherapien.de)    (Erfahrungen mit Wikipedia und https://kanzleikompa.de/blog/ 

Musik umspannt Raum und Zeit. Sergej Prokofjew nennt sie zwei Schwestern, die eine infrarot, die andere ultraviolett. Nicht selten erscheinen beide verrückt und doch auch immer wieder berückend. Wie gut tut es, ganz im Gegensatz zu Adornos Typen des guten Zuhörers mitunter den präfrontalen Cortex auszuschalten, sich mitreißen und betören zu lassen oder sich musikgesteuert träumerisch jenem Zustand des default mode networks hinzugeben, in dem das Gehirn hoch aktiv sich selbst überlassen ist und man danach entspannt und erholt seinen Geschäften nachgehen kann – ganz in Erinnerung an Novalis, der jede Krankheit als musikalisches Problem und ihre Heilung als Lösung der inneren Dissonanzen verstand, was wiederum u.a. mit dem bioenergetischen Modell von Wilhelm Reich erklärbar war und heute zur Emergenz als fraktaler Selbstoptimierung erweitert worden ist. Dass dieser Ruhezustand steigerungsfähig ist, weiß jeder, der sich ihm unter Musikeinfluss mit tiefem Erleben des jeweils spezifischen flow aussetzt. Odysseus und die Sirenen, Hanno in den Buddenbrooks u.v.a.m. lassen grüßen. Aber keineswegs nicht nur. Die dem dionysischen Pol entgegengesetzte, ohne ihn aber funktionslose apollinische Seite öffnet die Augen,  worüber seit Jahrhunderten viel geschrieben worden ist.

Wer könnte die Verwandtschaft und spezielle Eigenständig musikalischer Facetten und ihr Wirkungspotential auf die „Symphonie“ (Antonio Damasio, 2010) des seine innere Musik repräsentierenden Menschen heute besser erklären als Eckart Altenmüller, ausübender Musikhochschulabsolvent mit Konzertreifeprüfung und Neurologe, Direktor des Instituts für Musikphysiologie und Musiker-Medizin der Hochschule für Musik Hannover. Sein Buch übertrifft alle Erwartungen.  

Das Buch ist in fünf gewichtige Kapitel gegliedert: 1. Vom Wesen der Musik, 2. Musik hören – Musik entsteht im Kopf, 3. Musik machen, 4. Musik fühlen, 5. Mit Musik heilen.

Altenmüller blättert die Situation der Musik bei den Neandertalern bis heute auf. Erst einmal klärt er die verschiedenen Auffassungen von Musik. Seine eigene umfassende Musikdefinition auf S. 9 und S. 73  variiert auf S. 483.

Wer den Technikdrill an der Musikhochschule erfahren musste, stimmt seiner Forderung nur allzu gern zu: „Geboten ist die Hinwendung zum eigentlichen Inhalt der Musik, zur Vermittlung von Emotionen“ (S. 334). Inhaltsschwer ist dementsprechend das Kapitel „4. Musik fühlen“, auch wenn der Autor im Glossar auf eine andere Liste von Emotionen (S. 472) als in seiner zitierten Stelle (S. 356) und Untersuchung  (S. 447) verweist. Wenn man irgendwelche Leute bittet, spontan Gefühle zu nennen, bekommt man, wie seit Jahrzehnten überprüft und jederzeit nachprüfbar, an erster Stelle meist die zitierten vier „Grundgefühle“ (Gutjahr, L., Machleidt, W. & Mügge, A., 2011², Berlin) zu hören. Altenmüller unterscheidet  jedoch „die lebensnotwendigen Grundgefühle oder Basisemotionen von den ästhetischen Emotionen, wie sie das Hören einer schönen Musik auslöst“ (S. 394) und weist dazu auf die unterschiedlichen Facetten von „Musik als emotionaler Kommunikation“ hin.

Sehr interessant seine Erkenntnisse zu „Musik ist Schall“, „ist Klang“, „ist Gedächtniskunst“, „ist Konstruktion“, „als Trost für die Seele“, „gegen das Vergessen“, „erhöht die emotionalen Kompetenzen“.

Zahlreiche Fragen werden gründlich diskutiert und überzeugend gelöst, z. B. „Machen Tiere Musik?“, „Mögen Tiere Musik?“, „Musik als Ursprache?“,  „Musizieren als Hochleistungssport?“, „Was bedeutet Üben für das Gehirn?“, „Welche Musiker erkranken?“, „Macht Musik klüger?“ Gespannt darf man auf Altenmüllers Ergebnisse zu seinem neuen Projekt der Sonifikation beim Musizieren sein (S. 425); zur Sonifikation im Sport hat der Sportwissenschaftler Effenberg seit 1995 etliche überzeugende Studien publiziert.[1]

Die Fülle kompliziertester neuroanatomischer Sachverhalte sind anhand von anschaulichen Graphiken derart gut erklärt, dass sie auch für einen Laien nachvollziehbar werden. Das Wissen, was beim Umgang mit Musik im Wunderwerk des Menschen geschieht, muss unweigerlich zu tiefer Demut und umso größerem Bemühen anregen, beim Singen, Musizieren und Musikhören sich des  „Handwunders“ (S. 217 ff.), „Gehirnwunders“  (S. 270 ff.) , „Wunders von Helsinki“ u.a. immer mal wieder bewusst zu werden und im musikalischen Tun allein und mit anderen Musik als Komposition oder Improvisation so zu gestalten, dass ihr musikpsychologischer Gehalt gleicherweise wie ihre musikpsychologische Funktionalisierbarkeit erlebbar werden. „Hören formt das Gehirn“, lautet dementsprechend eine Überschrift, „die Diktatur des Ohres“ eine andere. Mit „Apollos Fluch“ muss jeder Künstler rechnen.

Die vielen Anekdoten machen das Buch zu einem köstlichen Lesevergnügen. Besonders sympathisch auch die Erfahrungsberichte aus dem Leben des Autors. Man spürt förmlich die Heiterkeit dieses Musikers und seinen Humor.

So schwierig die Fragen nach dem Woher der Musik, nach dem Wie der Musikwahrnehmung und nach den Gründen, warum wir Musik haben, auch sein mögen; Altenmüller hat sie umfassend beantwortet. Dieses Buch, das „Die Kunst des Musizierens: Von den physiologischen und psychologischen Grundlagen zur Praxis“ (2013) ergänzt und gar noch übertrifft, ist somit fraglos ein Muss für jeden Musikausübenden, insbesondere für Musikpädagogen und –therapeuten.

 „Musik ist für uns Menschen sehr wichtig. Sie kann unser Leben ungeheuer bereichern, sie kann in schweren Stunden Trost sein, sie kann uns das Gefühl der Gemeinschaft geben und Einsamkeit vertreiben und sie kann uns emotionale Räume eröffnen, die wir mit Worten nicht beschreiben können“ (S. 459).

So ungeheuer wertvoll die neurologisch fundierten Argumente zum Untertitel des Buchs „Warum der Mensch ohne Musik nicht leben kann“ – vielsagend ohne Fragezeichen – auch sind, so könnte der dicke Wälzer doch manche Praktiker, die ohne die momentan dominierenden maschinengenerierten neuronalen Befunde auszukommen versuchen, abschrecken, zumal es nahezu unmöglich erscheint, bei bereits 2012 jährlich 40.000 Veröffentlichungen zur Hirnforschung[2] die Flut der durch die Möglichkeiten von EEG und MEG, der Computertomographie in Form von PET, fMRI, TMS und Multiphotonen-, konfokalen Mikroskopie und Optogenetik usw. zur Kenntnis zu nehmen. Der Laie hat keinen Zugang zu einem fünf Tonnen wiegenden, bereits 2013 drei Millionen € teuren Kernspintomographen[3]. Wie laut Husserls Scheinwerfertheorie nahelegt, lässt sich die naturwissenschaftlich überprüfbare komplexe Realität nicht erfassen, was selbst der Savant nur punktuell vermag und dadurch handlungsunfähig ist. Der Gesunde orientiert sich an einer mehr oder weniger von ihm gestalteten und ihm angemessenen pluralistisch-erfahrungsbezogenen Wirklichkeit, die die Hirnforschung nicht erklären kann. Entsprechend beruhigt der konzertierende Musiker Eckart Altenmüller (S. 159): 

Eine technische Herausforderung für das Verständnis der hirnphysiologischen Vorgänge bleibt deren Komplexität. Schon ein einziges Neuron ist ein Kleincomputer, das bis zu 50 000 eingehende Impulse von anderen Nervenzellen verarbeitet. Bereits auf dieser Ebene stehen die Wissenschaftler vor einer schier unlösbaren Aufgabe, denn bislang ist es nicht einmal in Ansätzen gelungen, diese 50 000 Eingänge in einem Neuron darzustellen, geschweige denn, bei der Arbeit zu beobachten. Der elegante Hilfsgriff, durch künstliche Netzwerke Berechnungen darüber anzustellen, wie sich derartige Neurone verhalten, erlaubt nur ganz bedingt Rückschlüsse auf die bunte Vielfalt der Wirklichkeit. Und wenn man nun bedenkt, dass ca. 100 Milliarden Neurone unserer Großhirnrinde über jeweils ca. 50 000 Verbindungen miteinander sprechen, dass dieser Informationsaustausch oft nur wenige Millisekunden dauert und sich die miteinander in Kontakt befindlichen Synapsen in Bruchteilen von Sekunden verändern, dann kann man sich vorstellen, dass diese Vorgänge für uns Menschen vielleicht nie erfassbar werden – selbst wenn es gelänge, an jeder einzelnen der 50 000 x 100000 000 000 Überträgersynapsen eine winzige Elektrode anzubringen und einen gigantischen Computer mit der Datenflut zu füttern. Der Computer müsste dann noch die Veränderungen der Überträgereigenschaften an den Synapsen berechnen, das Wechselspiel zwischen Neuronen und umgebendem Stützgewebe, das Neuentstehen und Absterben von Verbindungen und Nervenzellen, die Einflüsse von Stoffwechsel, Tageszeit, Bewusstseinslage und, und, und.“

Nur am Rande sei bemerkt, dass die Disziplin der Pädagogik durch ihr Erfahrungswissen der Hirnforschung in der Regel weit voraus ist“ (S. 171).

Dieses Buch sprüht von Begeisterung über das musikalische Wirkungspotential und setzt sich damit wohltuend ab von musikpsychologischen Werken, bei denen man den Eindruck hat, dass ihre Verfasser über etwas schreiben, das sie nie erlebt haben. Als ob sich Liebe mit dem Meterstab verstehen ließe [4]

Dieses Buch gehört zur unabdingbaren Pflichtlektüre von Musiktherapeuten und ist gleichermaßen bedeutsam für die Tanztherapie, die ohne Musikverständnis kaum echte Therapiefortschritte erreichen kann, zumal nahezu keine(r) der Tanztherapieausbildungen durchführenden Sozial- und Heilpädagogen, Psychologen und Sportlehrern ein professionelles Tanzstudium absolviert hat und der in den USA nicht selten mit einer von einer Lehrbeauftragten und einer Studentin begutachteten dünnen Thesisarbeit erworbene Titel M.A. für Tanztherapie zurecht nicht anerkennungsfähig ist. In seinen Radiosendungen und im Internet abrufbaren Vorträgen betont Eckart Altenmüller seit Jahren mit Nachdruck die Wichtigkeit von Tanz.  

Empfehlungen:

Altenmüller, Eckart (2018). Vom Neandertal in die Harmonie. Warum der Mensch ohne Musik nicht leben kann. Berlin: Springer-Verlag. Zahlreiche Abbildungen, Tabellen, Elektronisches Zusatzmaterial zu jedem Kapitel und zahlreiche Links zu Hörbeispielen. Als Hardcover ISBN 978-3-8274-1681-0, 511 Seiten, 24,99 €, als eBook ISBN 978-3-8274-2186-9, 19,99 €.

Kölsch, Stefan  (2019).: Good Vibrations – Die heilende Kraft der Musik.
Berlin: Ullstein Verlag, 384 Seiten, 22 Euro, ISBN-13 9783550050527

Musik-, Tanz-, Kunsttherapie – Zeitschrift für künstlerische Therapien im Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen, seit 2017 in Farbe. 

 
 
 
 
 
 
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Welttanztag am 29.4.2018

Welttanztag-Flyer 2018  Auf dem Welttanztag am Sonntag 29.4.2018, 17:26 auf der Freitreppe am Aasee in Münster zeigen ausschließlich aus Migrantenfamilien stammende Viertklässler der Melanchthonschule ihre mit ihrer Lehrerin Yolanda Bertolaso erarbeiteten Tänze.

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Oper Wunderland – Ich habe meine Musik mitgebracht.

30.06.2019 Sonntag 11:00 Uhr, Kölner Philharmonie

Der Besuch lohnt sich!  An der Oper Dortmund ist gegenwärtig die Oper Wunderland von Alexander Jansen (Musik: Anno Schreier) auf dem Spielplan: https://www.theaterdo.de/detail/event/18329/.

Jansen, A. & Erche, J. (2017). Ich habe meine Musik mitgebracht. Lieder, Spiele und Geschichten von Flüchtlingskindern. Für Kita und Schule. München: Don Bosco Medien GmbH. 136 Seiten, Klebebindung, kartoniertes Buch, farbig illustriert, Notensatz, inkl. Musik-CD mit 61 Minuten Spielzeit. ISBN: 978-3-7698-2279-3, 19,95 €

Dieses sehr berührende, aus 28 Liedern, einem Singspiel, zwei Klanggeschichten und 21 Spielen bestehende Werk lässt sich am besten mit den Worten der beiden Autoren Juliane Erche (Musikerin und Musiktherapeutin) und Alexander Jansen (Heilpädagoge, Musik- und Theatertherapeut und Librettist viel gespielter Opern) vorstellen. Im dem erschütternden Vorwort unter der sinnfälligen Devise „Iftah Ya Simsim!“, „der Zauberformel „Sesam, öffne dich!“ aus „Tausendundeiner Nacht“, die das Felsentor einer Schatzkammer zu öffnen vermag“, berichten sie von Jansens Besuch einer Gemeindeveranstaltung äthiopisch-orthodoxer Christen, in der sechs weiß gewandete Mädchen und ein ebenso hell gekleideter Junge eigene vielstrophige Texte zu einer alten äthiopischen Melodie vortrugen. „Sie sangen von ihrer Flucht, der beschwerlichen und langwierigen Reise, die sie, ohne ihre Eltern, in mehreren Etappen von Äthiopien über den Sudan, durch die Wüste Lybiens an die Mittelmeerküste führte. Dort gelangten sie in viel zu kleinen und überfüllten Booten an Europas Küste, ehe sie auf verschlungenen Routen bei uns ankamen. Alle diese Wege und Stationen waren bedrohlich für Leib und Leben.“ Weitere solche Erlebnisse hatten die Autoren auf einem Flüchtlingscamp und in Heimen. Sie entschlossen sich, „immaterielle kulturelle Zeugnisse von und für Kinder zu sammeln als Zeichen der Identität, der Hoffnung, der Phantasie, der Verbindung von Mensch zu Mensch. So sammelten wir in einem mehrmonatigen Prozess in verschiedenen Einrichtungen der Flüchtlingshilfe – von der Clearingstelle für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, über heilpädagogische Wohngruppen bis zur großen Sammelunterkunft – Kinder wieder, Spiele und Geschichten. Wir arbeiteten dabei mit Kindern, Jugendlichen und Familien aus Afghanistan, Albanien, Aserbaidschan, Äthiopien, der Elfenbeinküste, Eritrea, Gambia, Ghana, dem Iran, dem Irak, dem Kosovo, Libyen, Mali, Pakistan, Russland, Somalia, dem Sudan, dem Südsudan, Syrien, Togo und der Ukraine. Dabei erlebten wir den Zauber der Kindheit gerade besonders dann, wenn beispielsweise pubertierende Jugendliche, die sich anfangs schämten, zu Kindereien befragt zu berichten, ihre kindlichen Anteile aktualisierten, sich ihre Augen mit Leben füllten und dann hüpfend und springend durch ein Zimmer tobten, wie etwa eine Kleingruppe afghanischer Heranwachsender unterschiedlicher Ethnien bei der Demonstration eines turbulenten Fangspiels. Jedoch spürten wir ebenso immer wieder den unheilvollen und weitreichenden Einfluss und Krieg, Gewalt und Unterdrückung. Da gab es junge Menschen aus Kriegs und Krisengebieten, die trotz der Hilfe von Übersetzern nicht genau wussten, was genau wir mit „Spiel“ meinten, der scheinbar sinnlosen Freizeitbeschäftigung, die von selbstvergessener und purer Lebensfreude geprägt ist.“ Noch mehr solcher Berichte enthält das Vorwort. Es ist den Autoren unumwunden zuzustimmen, dass ihre beeindruckende Sammlung „den Geist der Schönheit atmet und von reichen, wenn auch manchmal uns noch fremden Kulturen kündet.“

Sämtliche von Juliane Erche transkribierten Melodien sind mit der Originalsprache in lateinischer Schrift und mit deutscher Textfassung des für seine sprachlichen Nuancen nicht hoch genug zu bewundernden Alexander Jansen unterlegt. „Manche Melodien vereinfachten wir behutsam für den Praxisgebrauch und passten sie sanft den europäischen Hörgewohnheiten an. Auch die Gitarrenbegleitung haben wir umsichtig im Spannungsfeld zwischen dem Original und seiner Machbarkeit hinzugefügt.“

Für jedes Lied und Bewegungsspiel ist unter seinen Namen sein Herkunftsland angegeben und wird am Ende über die Umstände informiert, unter denen es dort verwendet wird und was es bezwecken soll.

In einem farblich abgesetzten Kasten sind die sechs wichtigsten Hinweise angegeben:

·         Kategorie (Mutmachlied, Bewegungsspiel, Klatschlied, Schlaflied, Sprechgesang, freie Luftspiel, Ballspiel, Tanzen, elementares Musikspiel, Liebeslied, Besinnungslied, Trostlied usw.)

·         Thema (Körper, Familie, Gemeinschaft, Begrüßung, Abschied, Zusammensein, verstecken und wiederfinden, Tierstimmen, Puppenspiel, Geschwister, Befindlichkeit, Gesundheit, Ordnung, Religion, Furchtlosigkeit, Achtsamkeit, Spiritualität, Freundschaft, Bildung, Träume, Geborgenheit, schlafen, Ruhe, Heimweh usw.)

·         Intention, Förderziel (Besinnung, Tagesstruktur, austoben, Reaktion, Empathie, Gruppengefühl, Mitgefühl, Freude, Phantasie, Harmonie, Zuneigung, Geborgenheit, Zusammenhalt, Selbstbewusstsein, Sicherheit, Bewegungskoordination, Geschicklichkeit, Grobmotorik, Körpersprache, Fingerspiel)

·         Alter

·         Material (Handtrommel, große Trommel, Gitarre, klatschen, Glockenspiel, Tamburin, Monochord, Klanghölzer, Tiermasken, Metallobjekte mit Schlägel usw.)

·         Schwierigkeitsstufe

Das Buch ist ausgesprochen schön gestaltet. Allein schon das Durchblättern ist ein Genuss. Die farbenreichen, zu den Liedern und Spielen passenden Bilder des aus dem Iran stammenden Illustrators Maneis laden zum Verweilen ein. Gelungen ist auch die unter der Leitung von Daniela Bauer entstandene CD des Jugendchors Audacia der Sing- und Musikschule Würzburg. Und zudem stellt der Verlag kostenloses Zusatzmaterial zum Download bereit.

Diese ungewöhnliche schöne und didaktisch und methodisch sorgfältig durchdachte Sammlung von Liedern und Spielen aus 20 fernen Ländern ragt unter den zahlreichen Publikationen für Kinder in jeder Hinsicht in besonderer Weise hervor. Es eignet sich für die Arbeit in Pädagogik und Therapie insgesamt. „Spielend, singend und bastelnd lernen die Kinder mit den Angeboten dieses Praxisbuchs etwas über die Lebensgewohnheiten, Bräuche und Sprache der Länder kennen, aus denen die sog. Flüchtlingskinder mit ihren Familien geflohen sind.“ In einer globalisierten Welt kann nicht früh genug das Verständnis und Einfühlungsvermögen in Leiden und Freuden anderer Kulturen unter ständiger Not und Lebensgefahr zu uns gekommenen Migranten geweckt werden.

Dieses reichhaltige Buch demonstriert nicht zuletzt das überragende künstlerische Können der beiden Autoren, ihre akribische Sorgfalt in der Dokumentation und pädagogischen Vermittlung der positiven Kraft von Musik, aufbauender Sprache und spielerischer Bewegung und vor allen Dingen ihre ungemein liebenswürdige Art ihres Engagements, schwerst traumatisierten Kindern und Jugendlichen bei der Verarbeitung ihrer bitteren Erlebnisse zu helfen und ihnen Freude und Perspektiven zu geben – gemäß dem Brücken bauenden Projekt „Sonne im Herzen. Kreativität und künstlerische Therapie. Julia Erche/Alexander Jansen. www.sonneimherzen.org“.

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Krankheit. Sphäre des Schaffens. Komponisten im Spiegel medizinischer Forschung

Trappe, H.-J. & Mastnak, W. (2015). Krankheit. Sphäre des Schaffens. Komponisten im Spiegel medizinischer Forschung. Lengerich: Pabst Science Publishers. 196 S., 25 Euro (ISBN 987-3-95853-041-6).

Dieses von bestechend exakter Recherche medizinischer Befunde zu Krankheiten berühmter Musiker, die das Leben Musikinteressierter unvermindert seit langer Zeit und tagtäglich so ungemein bereichern, gekennzeichnete neue Buch mit zahlreichen großenteils farbigen Bildern ist plakativ nicht, wie man erwarten könnte, zunächst nicht mit einem Hinweis auf Komponisten betitelt, sondern dem Anliegen der beiden Verfasser entsprechend mit „Krankheit“ und ihrer Einordnung als „Sphäre des Schaffens“. Erst dann folgt der erläuternde Untertitel, dass dies demonstriert wird an „Komponisten im Spiegel medizinischer Forschung“.

Diese völlig neue Sichtweise bei der Darstellung der erschütternden Biographien legt ihren Akzent auf das Anliegen von Musikhörern aller Zeiten, zu erfahren, wie es jenen bewunderten Heroen der Musikgeschichte in ihrem Leben ergangen ist. Längst geht es auch Musikpädagogen angesichts der in asiatischen Ländern zu Instrumentalmaschinen gedrillten Kinder nicht mehr in erster Linie um technische Perfektion, sondern um Spaß und Freude an jeder Art musikalischer Betätigung, wozu naheliegenderweise auch gehört, dass frühzeitig das Interesse für das hochdifferenzierte unerschöpfliche Wirkungspotential von Musik gehört. Um dieses zu erleben und mehr und mehr zu verstehen, bedarf es eines polaren und sich ergänzenden musikpsychologischen Zugangs zu Musik: MUSIKpsychologie einerseits als Psychologie des musikalischen Gehalts bzw. nicht nur der Musikanalyse von Noten, sondern auch der speziellen wirkungsspezifischen Verwendung musikalischer Substanzen und ihrer Zusammensetzung (Kom-position) analog zur Mischung von Ingredienzien durch Apothekern und aus der Naturmedizin bekannten Heilkundigen (Kräuterhexen, Medizinmännern, Alchemisten), und MusikPSYCHOLOGIE  andererseits als die Lehre von der Psyche und ihrer gezielten Beeinflussbarkeit durch alle Arten musikalischer Pharmazie. Musik galt bekanntlich zu allen Zeiten und überall als immer wieder bestaunte nie versiegende Quelle von Erbauung, Trost, Ermunterung und Antrieb, wozu keineswegs auf Berichte aus früheren Jahrhunderten zurückgegriffen zu werden braucht, sondern wie jeder Musiker egal welcher Richtung und ganz besonders oft Sängerinnen und Interpreten aus der Popmusik bekunden, weshalb ihnen die Massen trotz der damit verbundenen Unannehmlichkeiten zuströmen. Die bis zur Verzückung euphorisierende und Schmerz und Leid vergessen machende Wirkung  von Musik lässt sich auch im stillen Kämmerlein erspüren. Der für das Wirkungspotential von Musik Aufgeschlossene erspürt die zu allen Zeiten gerühmte Macht der Musik intuitiv und will sie nicht missen. Umso mehr muss es Sinn eines Musikunterrichts sein, gemäß Robert Schumanns Verständnis eines Künstlers „Licht senden in die Tiefen des menschlichen Herzens“.

Dieses Buch richtet sich laut Vorwort und Ankündigung des Verlags an „Musikinteressierte – Laien und Fachleute“. Es ist vor allem aber ein Buch für alle im Gesundheitsbereich Tätigen und natürlich ganz besonders für Musiktherapeuten.

Hochkarätiges fachkundliches Wissen im Sinne der erwähnten beiden Seiten von Musikpsychologie als Analyse musikalischen Gehalts und seiner Funktionalisierung im Sinne des individuumspezifischen Therapieziels garantieren die beiden Autoren. Univ.-Prof. Dr. med. habil. Hans-Joachim Trappe, konzertierender Organist mit zahlreichen CDs, wie sie eigentlich Resultat eines ausschließlichen Organistenlebens sein könnten (siehe http://www.hans-joachim-trappe.de/), ist aber hauptberuflich Direktor der Medizinischen Klinik für Kardiologie und Angiologie. Er weiß also am besten, wie es einem ums Herz ist. Er hat sich die Komponisten Bach, Mozart, Beethoven, Bruckner und Reger vorgenommen.

Univ.-Prof. Dr. Dr. Dr. Wolfgang Mastnak, ebenfalls habilitiert, den die Leser dieser Zeitschrift als unschätzbarer Gewinn in der Herausgeberschaft schätzen, ist nicht nur ein exzellenter Pianist. Er, studierter Mathematiker, darf als der wohl bedeutendste und tiefschürfendste Musiktherapeut bezeichnet werden. Er hat als Professor für Musikpädagogik an der Hochschule für Musik und Theater in München nicht nur Promotionsrecht  im Fach Musikpädagogik, sondern auch im Fach Musiktherapie. Dieses lehrt er allerdings hauptsächlich in Frankreich und Tschechien und vor allem in China. Am dortigen Shanghai Conservatory of Music und zudem an der Fudan University Shanghai ist er Professor für Musiktherapie (Hier sind noch weitere Stationen seiner beeindruckenden Tätigkeit genannt: http://www.mozart-science.at/fileadmin/download/CV_Wolfgang_Mastnak.pdf).  Wer ihn mal erlebt hat, weiß wie souverän er die unterschiedlichsten Sprachen beherrscht. Dass auch für ihn Musik im wörtlichen Sinne Herzenssache ist, ist auch aus seiner Funktion als Präsident des Österreichischen Herzverbands zu ersehen (siehe z. B. http://www.herzverband-tirol.at/pages/posts/hirn-an-herz-teil1-32.php).  Mastnak hat sich mit Schubert, Chopin, Schumann, Satie und Ravel befasst.

Wer sich nun dem Inhalt des Buches zuwendet, erlebt eine Überraschung nach der anderen. Mit zahlreichen Irrtümern und um sich jeweiligen Komponisten rankenden Geschichten wird gründlich aufgeräumt.

Sicherlich ist manch einem bekannt, dass Johann Sebastian Bach im Arrest saß, diese Zeit aber für seine Arbeit am „Wohltemperierten Klavier“ und zur Vervollständigung des „Orgelbüchleins“ genutzt hatte. Wie Mozart „hatte Bach vor der Obrigkeit keine Angst“ (S. 11). Wie er mit Schicksalsschlägen, die „sein Werk wesentlich beeinflussten“ (S. 12), umgegangen ist, sei nur angedeutet: Im Alter von 35 Jahren war seine Frau gestorben.  Von 13 Kindern aus der zweiten Ehe waren 7 schon früh verstorben. Sehr interessant und wie in allen seiner medizinischen Expertisen zu den von ihm gewählten Komponisten sind Trappes Erläuterungen etwa zu Bachs Glaukom, metabolischem Syndrom, apoplektischen Insult und zu den als „Organistenkrankheit“ bezeichneten Exostosen als Überbelastung von Gelenken beim Orgelspiel.

Auch bei Wolfgang Amadeus Mozart spielt der Tod eine prägende Rolle. Bei seiner Geburt lebte von sechs vor ihm zur Welt Gekommenen nur noch seine Schwester. Im Alter von 57 Jahren war seine Mutter verstorben. Seine Frau war „immer wieder ans Bett gefesselt“ (S. 26). Er selbst war aufgrund der nahezu unmenschlichen abverlangten Strapazen schon als Kind gesundheitlich überfordert. Trappe zählt zahlreiche Krankheiten auf. Er geht vor allem auf Mozarts Infektionen im Lebensjahr ein, worüber zahlreiche Geschichten ranken. Eigene Kapitel beschäftigen sich mit den Fragen „Wurde Mozart vergiftet?“, „Woran starb Mozart wirklich?“, „Alkohol, Spiel, Syphilis?“, „Tourette-Syndrom?“, „Asperger?“. Im Schlusskapitel „Epikrise“, die alle Biographien abschließt, filtert Trappe die zwei Abschnitte von Mozarts Leben und äußert sich abschließend zum „Geheimnis“ von Mozarts Tod.

Dass Ludwig van Beethoven unter den grausigen Belastungen, die schon früh auftauchten und sich zeitlebens noch verschlimmerten, überhaupt noch komponierte, war schon immer bestaunt worden, ist aber angesichts der detaillierten fachkundigen Diagnosen noch erstaunlicher. Seine Mutter war bereits 40-jährig verstorben. Allein schon die Stichworte in den Kapitelüberschriften lassen solch ein Leben als absolut unerträglich erscheinen: Pockennarben, Brille, Hörstörungen, Durchfälle, Koliken, Fieberschübe, Noncompliance, Hepatits, Lebenzirrhose, Ösophagusvarizen, Alkohol und „Spekulationen um Syphilis und Bleivergiftung“. Seine Depressionen und sein zeitweiliger Suicidgedanke sind so gesehen nur allzu verständlich. Umso mehr bewundern wir seinen unbeugsamen Willen:

„solche Ereignisse brachten mich nahe an Verzweiflung, es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben – nur sie die Kunst, sie hielt mich zurück, ach es dünkte mir unmöglich, die Welt eher zu verlassen, bis ich das alles hervorgebracht, wozu ich mich aufgelegt fühlte, und so fristete ich dieses elende Leben – wahrhaft elend, einen so reizbaren Körper,[5] daß eine etwas schnelle Verändrung mich aus dem Besten Zustande in den schlechtesten versezen kann – Geduld – so heist es, Sie muß ich nun zur führerin wählen, ich habe es – daurend hoffe ich, soll mein Entschluß seyn, auszuharren, bis es den unerbittlichen Parzen gefällt, den Faden zu brechen, vieleicht geht’s besser, vieleicht nicht, ich bin gefaßt.“[1]

Trappe beschließt sein Kapitel „Epikrise“ treffend mit Beethovens eigenem Wort: „Der Mensch besitzt nichts Edleres und Kostbareres als die Zeit.“ Trappe fügt hinzu: „Seine Zeit war kurz.“

Bereits in seiner Beschäftigung mit dem Leben von Franz Schubert stellt Mastnak die „medizinethische Frage, inwieweit eine Erforschung seiner Krankheitsgechichte nicht zu sehr in seine Intimsphäre eindringt, und ab wann der hermeneutische Gewinn für die Interpretation seiner Musik nicht mehr die ‚Verletzung‘ eines (wenn auch fiktiven) Post-mortem-Datenschutzes rechtfertigt“ (S. 77). Gleichwohl bestechen und erschüttern auch seine nicht minder akribischen Analysen von Schuberts Leben und leidensbedingten Niederschläge in seinem Werk. Vorweg: Schubert starb nicht an Syphilis. „Obwohl bei Schubert nie eine Syphilis-Diagnose auftaucht, wurde eine solche schon relativ früh in der Forschung vermutet und immer wieder bestätigt“ (S. 55). Mastnak geht daher dieser Frage eingehend nach und beschreibt zunächst  in eigenen Kapiteln die „historischen und soziokulturellen“ und „klinischen und therapeutischen Aspekte“ und gibt einen Eindruck davon, wie „horrend“ und „teils eine regelrechte Tortur“ (S. 67) ihre Behandlung damals war. Schließlich setzt sich Mastnak im Kapitel „Syphilis: Symptome bei Schubert“ mit der Quellenlage auseinander. Im Kapitel „Die terminale Krankheit“ beschreibt er, dass Schubert an der Krankheit gestorben war, der auch seine Mutter erlegen war. Im Weiteren wird geklärt: „Psychopathologische Einordnungen scheinen bereits von Anfang an zum Scheitern verurteilt zu sein“ (S. 69). Dazu führt Mastnak zahlreiche Belege an. „Inwieweit das Thema Tod hier für Schubert früh prägend wurde, kann nur gemutmaßt werden“ (S. 71). Immerhin ist er davon nicht weniger als die von Trappe vorgestellten Komponisten betroffen. „Von 16 Kindern der Familie erreichen nur vier das Erwachsenenalter.“ (S. 71). Als viel bedeutsamer wertet Mastnak Schuberts „(im Vergleich zu Beethovens Testament) zutiefst religiöser (…) Schrei aus der Lebensnot“ (S. 71). Mastnak beleuchtet damit im Kapitel „Romantische Negativhaltung, Wiener Fatalismus oder reaktive Depression?“ auch den zu Schuberts Zeit herrschenden Zeitgeist und befasst sich im darauf folgenden Kapitel „Naive Idylle, Homosexualität, Bindungsdilemma, Persönlichkeitsstörung – oder einfach Genie?“ mit den vielerlei Deutungen, die ganze Bibliotheken zu Schubert füllen. Immerhin belegt Mastnak abschließend anhand von Quellen die wohl Gültigkeit beanspruchende Sicht zu den beiden, teils im Allgemeinen Krankenhaus Wien entstandenen  Liederzyklen „Die Schöne Müllerin“ und „Winterreise“.

Wahrlich als nicht minder sonderlich, wenngleich ganz anders, erscheinen die Kalamitäten, mit denen Frédéric Chopin zu kämpfen hatte und an denen teils auch schon seine Schwester gestorben war. Bei beiden liegt eine neuro-psychiatrisch relevante Symptomatik als Ursache von Temperallappenepilepsie vor, die aber Chopins zugeschriebenen fragilen Charakter, seine Scheu und Auftrittsängste, seine Halluzinationen, Melancholie und sonstigen Ängste nicht stimmig erklären, sondern laut Mastnak, der anstelle des pathogenetischen Aspekts immer den daraus möglicherweise resultierenden salutogenetischen, kurativen Gewinn, wie er angesichts der in zunehmend alternden Gesellschaften lebenslanger Gesundheit eine  Rolle spielt, herauszustellen versucht, “innerer Motor und Inspirationspool seines Schaffens waren“ (S. 85). Diesen zeigt Mastnak in eigenen Kapiteln zu „kränkliche Konstitution und Lungen Probleme“, „Diarrhoe und gastrointestinale Probleme“, „Bronchopulmunale Probleme und Tuberkulose“, „Zystische Fibrose“, „Alpha-1 Antitrypsin Mangel“, „Depression und Angst“ bis hin zur „Elipsie“ anhand sauberst recherierten medizinischen Befunde., wie sie alle Beiträge dieses Buchs auszeichnen.

Es sprengt den Rahmen, auf die noch folgenden Komponisten einzugehen. Um die Schönheit und jeweils singuläre Einzigartigkeit und Vollkommenheit ihrer Musik zu bestaunen und sich von ihr erfüllen zu lassen, muss man nichts von den bedrückenden Beschwernissen, unter denen diese Komponisten zu leiden hatten, wissen. Und man braucht auch keine Kenntnisse, wie sie mit diesen Schicksalen umgegangen sind. Aber wer sich in sie vertieft, tut das mit unschätzbarem Gewinn im Sinne beider Seiten von Musikpsychologie. Dieses Buch ist somit Lebenskunde und demonstriert in vielfachen Facetten und Varianten, wie große Geister Bedrängnissen standgehalten und in beispielhafter Anstrengung und Disziplin und je nach Temperament mit vorbildlichem Streben nach optimistischer Gelassenheit und Souveränität in die ihnen gegönnte Zeit zu Kompositionen genutzt haben. Dieser trotz und oftmals gerade unter fürchterlichsten körperlichen Schmerzen und seelischen Verwundungen entstandenen Werke werden immer und überall musiziert, neu interpretiert und gehört. Sie sind Heilsam wie allgemein bekannt und tagtäglich erlebt für das Selbst als Einheit von Proto- und Kernselbst und Bewusstsein, Antonio Damasio als das einer der wichtigsten Gehirnforscher, beschreibt als Persönlichkeit, die ihre eigene Musik, eine Symphonie von Erfahrungen, Erlebnisweisen und kognitive Attribuierung repräsentiert. Den beiden Autoren Hans-Joachim Trappe und Wolfang Mastnak kommt das nicht hoch genug zu veranschlagende Verdient zu, ein längst dringend benötigtes Buch von bleibendem Wert vorgelegt zu haben, das jedem, der sich Musik zuwendet, die Augen öffnet und zu Sichtweisen anregt, die nicht nur die Musik im Sinne der Komponisten und ihrer jeweiligen Interpreten vergleichen und nachempfinden lassen, sondern auch vielerlei Impulse für die eigene Gestaltung von Überliefertem, für die Verwendung in allen Lebenslagen und vor allem natürlich für eine adressatenorientierte Psychotherapie geben.


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Ein singulärer Musiktherapeut: Wolfgang Mastnak

Wolfgang Mastnak, Musiker, Psycho- und Mototherapeut, Professor für künstlerische Therapien an der Shandong University, die zu den besten Universtäten in China gehört, und Leiter der künstlerisch-therapeutischen Forschung im angeschlossenen psychiatrischen Universitätsklinikum. Zuvor Direktor des Forschungszentrums für Künstlerische Therapien an der Beijing Normal University „as a Class A Double First Class University[3] „among China’s top-10 engineering universities“.  Auslandsbeauftragter der Hochschule für Musik und Tanz München für die Universität Tiflis/Georgien bis 2013.

„Chinesische Musiktherapie gewinnt international an Bedeutung. Exklusiv.
Wolfgang Mastnak ist Professor für Musiktherapie und forscht im Bereich der Musiktherapie in der Psychiatrie und Kardiologie sowie in der Neuropsychologie.“
http://german.china.org.cn/interview/2015-08/31/content_36463577.htm

Hier eine kleine Auswahl von Mastnaks gewaltigem Œuvre zur Musiktherapie.

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Grimauld

Helene Grimaud im SPIEGEL v. 20.12.2014

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Musik und Emotionen – Strebetendenz-Theorie

Alles, was in der Sendung des SWR2 vom 12.11.2014 zur Wirkung bestimmter Akkorde und Harmonien und zu ausgewählten Musikbeispielen zur Sprache kommt, bezieht sich auf die Publikation „Musik und Emotionen – Studien zur Strebetendenz-Theorie“ von Daniela und Bernd Willimek mit ihrer Erklärung für die emotionalen Wirkung musikalischer Harmonien.

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Seminare im Herbst 2014

Intensivkompaktwochen

Wochenendseminare

Themen und Fragen zur Vor- und Nachbearbeitung

Anmeldung und Lageplan

 

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Wolfgang Joop malte seine Mutter im Sterbeprozess

Musiktherapeuten wird immer wieder empfohlen, über den Zaun zu schauen und zu beobachten, wie mit anderen künstlerischen Medien umgegangen wird. Das ist ja auch das Anliegen der Zeitschrift für Künstlerische Therapien. Hier ein Bericht aus der Berliner Morgenpost von heute:

Wolfgang Joop hat seine Mutter in der Phase ihres Sterbens gezeichnet. Entstanden seien damals „drei Zeichnungen in ungefähr drei Tagen oder Nächten“, sagte der Designer der „Süddeutschen Zeitung“. Er besitze die Arbeiten zwar noch, habe sie aber nie wieder angeschaut. „Nur durch die Übersetzung der Wahrheit auf meinen Zeichenblock konnte ich die stumme Nähe und den Abschied zugleich ertragen.“

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Tonfolgen: Taugt Musik als Medizin?

http://www.profil.at/articles/1427/984/376519/tonfolgen-taugt-musik-medizin

Zweifellos ist die Durchführung des Weltkongresses in Krems eine großartige Leistung. Doch verwundert den Kenner die Behauptung, „wir“ wüssten nicht, wie Musik wirkt.  Dieser Artikel zeigt allerdings ein auf elementarste Grundbedingungen reduziertes Verständnis von Musik als Medizin für hauptsächlich nicht ansprechbare Patienten, das nichts zu tun hat mit Musiktherapie als Psychotherapie. Künstlerische Musiktherapie, die den professionellen Musiker voraussetzt und sich in den Patienten einfühlt, belässt es nicht bei der pulsregulierenden Beschallung (Schalltherapie), sondern versteht Musik als geistfähiges Material. Damit eröffnet sie den mündigen Patienten die Überwindung psychischer Störungen und das Erreichen von Sicherheit durch selbstätige kognitiv-erlebnisphilosophische Strukturierung der betreffenden Selbst- und Objektdimensionen. Für das sich als Musik repräsentierende Selbst ist Bachs Orchestersuite Nr. 3 keineswegs austauchbar mit Heavy Metal. Medizinisch macht es keinen Unterschied, womit etwa die Ernährung erreicht wird, für jemanden mit Kultur dagegen sehr wohl. Für ihn gilt: „Der Ton macht die Musik“ – gemäß Gustav Mahler: „Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.“ (siehe dazu den gleichnamigen Vortrag zur „Ton-Psychologie“ auf dem Weltkongress für Musiktherapie in Krems 7.-12.7.2014).

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GABRIELLE – (K)EINE GANZ NORMALE LIEBE

Ab 1. Mai 2014 im Kino! Gabrielle ist Anfang zwanzig und besitzt nicht nur eine ansteckende Lebensfreude,
sondern auch eine außergewöhnliche Begabung für Musik. Martin lernt sie in ihrer
Therapiegruppe kennen, wo sie gemeinsam in einem Chor singen. Die beiden verlieben
sich leidenschaftlich ineinander. Aber ihre Umgebung erlaubt ihnen diese Liebe
nicht, denn die beiden sind nicht wie die Anderen: Gabrielle hat das Williams-
Beuren-Syndrom. Die Liebe behinderter Menschen sollte längst kein Tabu mehr sein –
trotzdem muss sich das junge Paar entschlossen den Vorurteilen stellen, um eine
nicht ganz alltägliche Liebesgeschichte zu erleben. Programmheft GABRIELLE mit Beschreibung des Williams-Beuren-Syndroms.

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Palliative Musiktherapie

Trost spenden, Schmerzen lindern, Angst nehmen – das sind die Erwartungen an die Betreuung unheilbar erkrankter Menschen. Die palliative Versorgung versucht daher, Menschen in ihrer letzten Lebensphase zu unterstützen und ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Inwieweit dabei Musik als Therapie die Lebensqualität steigern kann, haben jetzt Wissenschaftler im Auftrag des DIMDI untersucht. Sie fanden dafür jedoch nur schwache Hinweise, da bisher zu wenig verwertbare Studien vorliegen.

Forscher halten nichts von Musiktherapie am Sterbebett

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Und wieder ein Fall übelster Justiz und Psychiatrie

Man kann davon ausgehen, dass es haufenweise Justizirrtümer gibt. Die wenigsten ihrer Opfer haben das Glück, jemanden zu finden, der sich für sie einsetzt: https://www.swr.de/swr2/wissen/unschuldig-verurteilt-und-dann-der-schwierige-weg-zum-wiederaufnahmeverfahren-100.html 

Solche Fälle (14 Jahre unschuldig im Gefängnis) oder wie hier und hier (jeweils 31 Jahre unschuldig im Gefängnis) dürfte es nicht geben, geschehen aber auch in einem „Rechtsstaat“ offensichtlich oft und oft. Mehr zu solcher Justizschande weiß „Monte Cristo e. V.„.

MONTE CHRISTO E.V.

Mit künstlerischen Therapien wäre diesen bedauernswerten Personen wenigstens ein wenig geholfen. Leider sind noch viele damit verbundenen Fragen offen.

Hier ein sehr lesenswertes Buch über Zustände in der Justiz. Wilhelm Schlötterer (2021). Staatsverbrechen. Der Fall Mollath. München: FBV.

Rolf Lamprecht (2008). Die Lebenslüge der Juristen. Warum Recht nicht gerecht ist. München: Deutsche Verlagsanstalt

Laut Thomas Hoeren, Direktor des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht der Universität Münster, (2006) kann von Juristen häufig keine Bildung erwartet werden: „Eklat rund um das berühmte Fehlurteil des Oberlandesgerichts München, das vor Jahren einmal den Ausdruck „echt ätzend“ in einem PC-Handbuch als Ausdruck höchsten Lobes für ein Computerprogramm gesehen und ihm deshalb (fälschlicherweise) Urheberrechtsschutz zugebilligt hatte.“

siehe auch: E-Mail-Gruselkabinett: Hallöchen, Herr Professor! – DER SPIEGEL

Nicht selten verursachen die eklatanten Grammatikverstöße von Juristen ihre Fehlentscheidungen.

Th. Hoeren (2010): „Vor einigen Wochen rief ich beim Bundesforschungsministerium an. Ich wollte mich dort erkundigen, unter welches Programm ein juristisches Forschungsprojekt bei der Förderung für Geistes- und Sozialwissenschaften falle. Rechtswissenschaft sei keine Geistes- oder Sozialwissenschaft, erklärte mir die Dame am Telefon. Aber Jura sei ja nun auch keine Naturwissenschaft, entgegnete ich konsterniert. Eben, sagte die Dame, da müssen Sie sich mit den historischen oder philosophischen Grundlagen des Rechts beschäftigen, sonst gibt’s hier kein Geld… Juristen drohen endlich zu dem zu werden, was ihnen Kirchmann 1848 prophezeite, zu „Würmern, die nur von dem faulen Holze leben“.“

Mollath: Sachverhalt und Kommentare –Wie befangen ist Mollath-Richter Brixner?

Glaubt man einem hohen Richter, ist die Zahl falscher Schuldsprüche riesig.

„Manche Richter haben nicht mal die Unterlagen gelesen“ (11.7.2021) – Nicht nur Richter. Eine mandatierte Anwältin kam ohne Akten zur Verhandlung und musste vom Gericht informiert werden. Natürlich hatte sie verloren. Der Mandant hatte den Schaden und musste Gerichts- und Anwaltskosten zahlen.

88000 im Gefängnis, 145000 zwangseingewiesen in die Psychiatrie, oftmals lebenslänglich und aus bloßer Faulheit skrupelloser Richter und Psychiater:

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, was das bedeutet. 88000 Gefaengnisinsassen gibt es in der BRD, das ist 1% der Bevoelkerung, und das ist vergleichbar z.B. mit Griechenland. Aber 145000 Zwangseingewiesene? Das ist schockierend. Diese Leute haben eine ungewisse Zukunft vor sich. Sie sind der Willkuer der umgebenden Personen ausgesetzt. Natuerlich bestimmt das Gericht die Freiulassung, aber was heisst das genau? Das Gericht bestimmt aufgrund der Aussagen von begutachtenden Aerzten, diese fragen wiederum auch die beteiligten Pfleger usw. Willkuermoeglichkeiten wohin man blickt. Das ist grauenhaft. Im Gefaengnis weiss man wenigstens, nach x Jahren kommt man frei. (auch aufgeweicht durch die SIcherungsverwahrung). Was ist nur aus der BRD geworden? Einfach grauenhaft.“

siehe auch: „Schreib um dein Leben“ und „Skrupellose Richter und Psychiater

Kann man solch ein Arbeitsfeld wirklich Musiktherapeuten empfehlen? Oder gerade deswegen? Oder ist es ein Tummelfeld für Hochstapler?
siehe SPIEGEL 4 v. 17.1.2015 „Unter Hochstaplern“: Postel_Spiegel-17.1.15 Sehr zu empfehlen sind die Berichte, wie der Briefträger Gert Postel sich nach seiner Hilfslosigkeit für seine Mutter vom Ordinarius für Psychiatrie, Prof. Dr. Tölle in Münster, als Oberarzt einstellen ließ und erfolgreicher Chefarzt in Leipzig geworden war, um den in der Psychiatrie weit verbreiteten Dilettantismus zu entlarven. Zitat aus Wikipedia:

Armin Nack, damaliger Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, lobte rückblickend in einem Vortrag 2012 an der Universität Passau Postels Tätigkeit als psychiatrischer Gutachter in einem von Nack verantworteten Fall. Postels Arbeit sei trotz zwei weiterer mit dem Fall befasster gelernter Psychiater die beste gewesen.[25] Auch seine Leistungen während der Probezeit in der Zschadraßer Psychiatrie wurden vom damaligen Krankenhausleiter Horst Krömker als „überdurchschnittlich“ beurteilt.[11] Postel meinte hierzu „Wer die Dialektik beherrscht und die psychiatrische Sprache, der kann grenzenlos jeden Schwachsinn formulieren und ihn dann in das Gewand des Akademischen stecken“.[10]

Der „Godmother of Punk“ Nina Hagen ist es zu danken, dass die Erzieherin Ilona Haslbauer nach sieben Jahren frei. Doch was ist das für eine „Freiheit“. Selbstgerechte Psychiater, Richter usw. bezeichnen sich wie für Psychopathen typisch als unschuldig. Wurde jemals einer zur Rechenschaft gezogen? Man fühlt sich an die Karrieren der Nazirichter in der BRD erinnert. Keiner wurde verurteil. Man kann angesichts des von Psychiatern, Gutachtern und Richtern skrupellos zugefügten unsäglichen Leids nicht oft genug die zahlreichen Publikationen und Sendungen empfehlen, z. B. „Psychiatrieopfer in Deutschland – Der Fall Ilona Haslbauer„, „Der Fall Michael Peresz – Verloren in der Psychiatrie„.

Die RTL-Sendung 07.12.2019  “ Schläge, Hunger, Einzelhaft – welchen Horror manche Psychiatrie ihren Patienten antut“ erinnert an vergangen geglaubte Zeiten. Keiner wurde bestraft, im Gegenteil, sie gelangten in die höchsten Positionen, wie z. B. Filbinger. Siehe auch das Buch von Ingo Müller „Furchtbare Juristen„.

In dieser Sendung des SWF zeigt oben erwähnte kurze Szene zur vielfachen Realität in der Psychiatrie einen letzten Rests des von dem dortigen Personal noch nicht gebrochenen Bewusstseins seiner Menschenwürde, wie die Schwester Zeichnungen eines von Justiz und Psychiatern in menschenverachtendster Weise mit Neuroleptika misshandelten Zwangsweggesperrten mit nach Hause bringt und damit den hilflosen und unsäglich mitleidenden Angehörigen ein wenig Trost und Hoffnung spendet – fast schon fühlt man sich an die Vertonung von 1817 des Gedichts „Du holde Kunst“ von Franz Schober vom selben Jahr durch dessen Freund Franz Schubert erinnert:

Du holde Kunst, in wie viel grauen Stunden,
Wo mich des Lebens wilder Kreis umstrickt,
Hast du mein Herz zu warmer Lieb‘ entzunden,
Hast mich in eine beßre Welt entrückt!

Oft hat ein Seufzer, deiner Harf‘ entflossen,
Ein süßer, heiliger Akkord von dir
Den Himmel bessrer Zeiten mir erschlossen,
Du holde Kunst, ich danke dir dafür!

Erst das unermüdliche Suchen der anderen Schwester nach einem äußerst schwer zu findenden einsatzbereiten Rechtsanwalt und ihr dickes Buch mit vollen Namen und Adressen sowie der Rückhalt ihres ebenso unerschrockenen Verlegers, vor allem aber die letztlich von der Politik gefürchteten öffentlichen Medien als Vierte Gewalt haben nach vollen zehn Jahren endlich die Freilassung von Michael Peresz aus der Isolationszelle bewirkt. Und das im Jahre 2018!

Wie Musik zur unmenschlichen Tortur missbraucht wird, schildert dieses 5 Tage am Stück pudelnackt fixierte Psychiatrieopfer.

Man kennt grauenhafte Verletzungen der Menschenwürde aus der Geschichte. Selbst der Gründer der Individualpsychiatrie Alfred Adler hatte keinerlei Gewissensbisse, „Kriegszitterer“ zu misshandeln.

Welche schäbige Rolle Ehepartner und engste Verwandte spielen, ist etwa von Camille Claudel und Robert Schumann bekannt.

Auch wenn sich seit dem Psychiater Heinrich Hoffmann, Autor des „Struwwelpeter“, mehr und mehr ein Umdenken stattgefunden hat und unzählige, in der Psychiatrie Beschäftigte sich ernsthaft um das Wohl der ihnen anvertrauten Insassen kümmern und es viele dankbare Bezeugungen gibt, ist doch auch nur ein einziger Fall zu viel und verursacht allen anderen Bemühungen Probleme.

In der Musiktherapie wie insgesamt in den künstlerischen Therapien werden die nach wie vor dunklen Seiten der Psychiatrie kaum thematisiert. Dabei wäre es endlich an der Zeit, auf den Kongressen von Psychiatern zum Nachahmen von Vorbildern wie den Chefarzt für Psychiatrie, Dr. Rudolf Burkhardt, aufzufordern.

Eine künstlerische Therapeutin muss schon übermäßiges Glück haben, wenn sie auf einen männlichen Richter trifft, der gesetzeskonform urteilt. Siehe Protest wegen Verunglimpfung der Tanztherapie

 

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