Karl-Heinz Menzen (2018). Das Symptom als Bild. Neuropathologie der Wahrnehmung von A bis Z. Lengerich: Pabst Science Publishers. 206 Seiten. ISBN 978-3-95853-09585-369-4
Mit dem Symptom als Bild befasst sich dieses überaus kenntnisreiche Werk des singulär umfassend gebildeten Autors. Erstmals zeichnet ein Buch die Entwicklungslinie von der Sprachphilosophie zur Neurologie der Wahrnehmung und ihren pathologischen Formen auf. Dieses sensationelle Buch des habilitierten Philosophen, Diplom-Theologen und Diplom-Psychologen und sichtlich neurobiologisch versierten Karl-Heinz Menzen, Pionier und Verfechter einer wissenschaftlich fundierten Kunsttherapie, betrifft alle künstlerischen Therapien, durchaus auch die Musiktherapie. Musik erzeugt am unmittelbarsten Stimmungen und Gefühle. Ihre Erkenntnis aber ist auf das Auge angewiesen. Wissenschaft wie auch Bewusstsein leiten sich schließlich von ihrem Stammwort videre = sehen ab. Was wir sehen, lässt sich aber keineswegs immer in Worten beschreiben. „Das Wesentliche in der Musik steht nicht in den Noten“, sagte Gustav Mahler. „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“, heißt ein Sprichwort. Wie hochkomplex diese vermeintlich lapidare Erkenntnis ist, leitet Menzen anhand von Beispielen aus der Malerei selbst und vor allem aus den sprachphilosophischen Theorien her, wobei er stets vorweg durch Fragen motiviert und es ihm somit gelingt, die Gedankengänge etwa von Wittgenstein, Cassirer, Peirce, Mitchell bis hin zu Lacan und Damasio verständlich darzustellen. Er zitiert Caspar David Friedrich: „Ein Bild muss nicht erfunden sondern empfunden seyn.“ Menzen kommentiert: „Der Maler spricht von Grundtönen, die sich im Gemüt des heranwachsenden Kindes widerspiegeln; die kompositorisch zusammenzusetzen sind, die die Facetten der Gemütsempfindungen in der Folge auf die Vorstellung übertragen. In seinem Mal-Entwurf sind die Raum-, Farb-, Licht, Flächen-, Bewegungs- und Formelemente so zu konstituieren, zu komponieren, dass sie einen empfindungs- und gefühlshaften Wirkungszusammenhang darstellen. Caspar David Friedrich begründet mit solcher Ansicht die Anfänge eines semiotischen Modells des künstlerischen Schaffens“ (29). Menzen zeigt die von Antonio Damasio erforschte Entwicklung zur neuronalen Vernetzung über das ikonische, indexikalische und symbolische Zeichen bis hin zu ihrem Auftreten im Verbund im Bild, dem hybriden ikonischen Zeichen. Er spürt dem „neuronalen Netzwerk von Schemata nach, das die Eindrücke, die visuellen, akustischen, taktilen und kinästhetischen, d.h. die propriozeptiven und motorischen Wahrnehmungsstimuli miteinander verschaltet“ und „die einlaufenden Eindrücke der Wahrnehmung von den im Hirnstamm angesiedelten Neurotransmitter-Produktionsstätten (Serotonin, Noradrenalin, Dopamin, Histamin u.a.) angesteuert, gefiltert und je nach Erfordernis mit eben den verschieden getönten Neurotransmitter-Molekülen (glücklich, zornig, höchst erregt u.a.) assoziiert und über den Thalamus an die jeweiligen spezifischen Areale zur Weiterverarbeitung geschickt werden. … Was bislang psychoanalytisch als in dem sich offenbar entziehenden Bereich des unbewussten Wahrnehmens und der Erkenntnis nicht zugänglich erschien, war entwicklungsneurologisch geklärt: Die diversen visuellen, lautlichen, berührungs- und körpergefühlshaften, auch die visceralen Eindrücke unserer Wahrnehmung werden neurotransmitterhaft nicht nur weitergeleitet, sondern sozusagen gefühlsmäßig eingefärbt, getönt und mittels des regulatorischen Neurotransmitters und Hormons Histamin, das gleichermaßen im Hirnstamm angesiedelt ist, zum Thalamus und damit zur Weiterbeförderung in die spezifischen Areale weitergeleitet (nach Maßgabe von: Takt, Rhythmus, Intensität, Gerichtetheit, Geschwindigkeit)“ (30). Zu bedenken sei stets, „dass der kulturspezifische Kontext der zeichen- und symbolhaften Ausdrucksformen, hier besonders: die symbolischen Äußerungen, wesentlich in und durch diesen Kontext definiert sind“ (32).
Menzen versteht es meisterhaft, mit symbolträchtigen Geschichten, oftmals auch aus seiner eigenen Kindheit den Leser zu fesseln und die abstrakt anmutenden Berichte zu konkretisieren.
Auch als Saxophonist seit Kindertagen und häufiger Besucher erlesener Konzerte kennt Menzen die Wirkungsmacht von Musik, Wort und Bild. Immer wieder nutzt er die Sprache zur Herausstellung des Verbindenden von Spannungen (tonoi) als physiologische und psychologische Phänomene und Verhaltensweisen und ihren Korrelaten in Struktur und Wirkung von bildnerischem und musikalischem Material im Sinne einer übergreifenden, ihre Energetik herausstellenden Ton-Psychologie[1], wie sie für eine multimodale Kunsttherapie unverzichtbar ist und ja auch das Anliegen dieser Zeitschrift trifft, die zum Blick über den Zaun des eigenen Fachgebiets anregen will.[2] In seiner hochdiffizilen hirnphysiologischen Herleitung von emotionaler Bewertung spricht er von „Tönung“ und verwendet diesbezüglich anschauliche Zitate wie jene von der „Bühnenmaschinerie für das ‚Privattheater‘ des Bewusstseins“, der „spielerischen Wort-Bild-Suche“ oder „mentalen Resonanzräume (vertraute, individuell geprägte soziale, politische, religiöse etc. innere Schutzräume)“, wie sie nicht nur für das Vorstellen, Erleben und Erinnern von Bild- und Klangräumen, sondern auch für die auf Fantasiebildung angewiesene Resonanzpädagogik[3] von Bedeutung sind. „Die Erzeugung von Bildern steht mithin in einem größeren Zusammenhang mit dem tiefen menschlichen Bedürfnis nach Ordnung und Sinn“ (S. 76).
„Ca. 80% des Gehirns dienen der Analyse und Verarbeitung visueller Informationen. … Aber wir wissen auch, wie in jedem Augenblick der visuellen Wahrnehmung das gesamte Gehirn und das heißt die Areale des Gehirns in ihrer Vielzahl parallel verschaltet sind und miteinander vernetzt werden“ (S. 58). Anschaulich beschreibt Menzen, wie „vor allem zwei Subsysteme parallel sowohl die visuellen Objekte auf dem sog. unteren ‚ventralen‘ Pfad in Richtung Schläfenlappen identifizieren und deren Verortung, d.h. ihre Bewegung im Raum, ihre Form und Struktur auf dem sog. oberen ‚dorsalen‘ Pfad dekodieren “ (S. 58) und wie schon die frühkindlich vorprogrammierte und funktionell aufeinander abgestimmte Koordination der Reflexe wie in einem Konzert aufeinander abgestimmt werden“ (S. 59). Das „Konzert der Sinne“ betrifft das vestibuläre Gleichgewichtssystem, dass taktile System, kinästhetische System wie auch die auf die visuelle Wahrnehmung, das Hören, das Riechen und Schmecken bezogenen Sinne (S. 61).
Das Buch beginnt mit einer ausführlichen historischen Rückblende zum Symptom als Bild und ist in sieben Kapitel mit zahlreichen logisch aufeinander aufbauenden gehaltvollen Unterkapiteln gegliedert:
- Was Bilder sind und woraus sie gemacht sind – Peirce, Wittgenstein, Cassirer und Mitchell – Sprachspiele und die Bilder des Alltags
1.1. Ich mache mir ein Bild
1.2. Von einfachen und komplexen Bildern
1.3. Am Anfang ist etwas Markantes, eine Markierung, eine Perspektive
1.4. Von Bildern im Kopf – ein Wahrnehmungs- und Vorstellungsakt
1.5. Von Zeichen und Symbolen – und was im Gehirn vor sich geht
1.5.1. Eine kleine Zeichen-Lehre: Grundlagen der neuronalen Vernetzung:
1.5.2. Die semiotische Sicht von Peirce
1.5.3. Neuere psychologische Aspekte der kindlichen Entwicklung
1.5.4. Prä- und symbolische Aspekte
1.5.5. Der symbolischer Akt
- Von den Bildern im Kopf – neurogenetische Aspekte
2.1. Am Anfang ist ein Eindruck – Stationen der Wahrnehmung
2.1.1. Station 1: Im Auge des Betrachters: Die Netzhaut
2.1.2. Station 2: Wahrnehmung – ein Produkt der genetischen und epigenetischem Redaktionsbereitschaft
2.1.3. Station 3: Umschlagplatz der Sinneswahrnehmungsproduktion: das Corpus Geniculatum Laterale als Teil der thalamischen Kerne
2.1.4. Station 4: Produktverteiler Sehzentrum: Vom Management der Sinne und der Integration der Sinnesmerkmale
2.1.4.1. Neurologische und neurobiologische Mitspieler der Muster- und Gestaltbildung
2.1.4.2. Eine Diskussion um die integralen Vorgaben des Gehirns
2.1.4.3. Zum neurologischen Ablauf von Sinnes Integration und Synchronisation
2.1.5. Station 5: neuronale Hilfestellungen – Enthorinaler Cortex, Gyrus Angularis und Precuneus
2.1.6. Konferenz der Sinne 1: Zusammenarbeit des Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens, Sich-Fühlens, sich-Bewegens
2.1.7. Konferenz der Sinne 2: Sinnliches Wahrnehmen als szenisches Verstehen
- Das Bild als Symptom – Störungen des Wahrnehmungseindrucks
3.1. Sensorische, motorische, kognitive und emotional stimulierende Signalmuster mit Störungswert
3.2. Erfahrungsunabhängige Mutation oder erfahrungsbedingte und in der Folge erfahrungsverändernde Epigenese – am Beispiel eines Fragilen-X-Syndroms und eines traumatischen Erlebnisses
3.3. Wie die Epigenese mittels der Methyliehrung das Zustandekommen und den Gebrauch der Bilder beeinflusst
- Neuropathologie der Wahrnehmung – Versuch eines Überblicks
4.1. Inklusionäre Aspekte der Wahrnehmungsstörung
4.2. Demenzielle Aspekte der Wahrnehmungsstörung
4.3. Psychosomatische Aspekte der Wahrnehmungsstörung
4.4. Psychiatrische Aspekte der Wahrnehmungsstörung
4.5. Persönlichkeitsstörungsaspekte der Wahrnehmungsstörung
- Von gelingenden und misslingenden Eindrücken des Lebens
5.1. und 5.2. Wenn der erste Eindruck des Lebens gelingt – neurogenetische Aspekte 1 und 2: Sensorische, motorische, kognitive und emotive Bildintegration
5.3. Wenn der erste Eindruck des Lebens misslingt – neuropathologische Aspekte 3: Sensorisch, motorisch, kognitiv und emotiv gestörte Bildintegration
5.3.1 Aus der klinischen und pädiatrischen Praxis mit wahrnehmungsgestörten Menschen
5.3.2 Von dem Versuch, das Vor- und Noch-nicht-Bewusste des Patienten zu erreichen
5.3.2.1 Bewusstseinsmodalitäten und das Vorbewusste im Blick der klinischen Praxis
- Von den Wahrnehmungsstörungen und einer neu zu definierenden Rolle der Psychopathologie
- Eine Zusammenfassung – Das Symptom als Bild
7.1. Das Symptom in den Bildern sprechen lassen
7.2. Das Symptom, eine zuweilen nicht wieder zu erkennende Verwendung des Psychischen
7.3. Symptome im Bild – und ihre Aussagekraft
7.3.1. Das Symptom – als verkörperter Ausdruck früher neuronaler Prägung
7.3.2. Das Symptom – als psycho-emotional und neuronal erlebter Ausdruck von Beziehung
7.3.3. Das Symptom – als sich genetisch-neurobiologischer Ausdruck
7.3.4. Das Symptom – als fixierender Ausdruck einer ungewöhnlich verlaufenden subjektiven Sozialisation
7.3.5. Das Symptom – als fiktionales, nicht künstlerisches Bild
7.3.6. Schlussbemerkung
Es folgen eine umfangreiche Literaturliste und ein ausführliches Glossar und Sachverzeichnis.
Das Kapitel 7 ist mit 19 gut verständlich analysierten Bildern aus Menzens Praxis als Klinischem Psychologen mit Approbation zum Psychologischen Psychotherapeuten (Zulassung in Dtl. und Österr.) und seinen kunsttherapeutischen Projekten ausgestattet.
Wie präzise Menzen vorgeht, zeigen auch seine für die künstlerisch therapeutische Praxis sinnfällig gegliederten tabillarischen dreispaltigen Übersichten zu Diagnose/Phänomene: Behinderungen wie Epilepsie, Down Syndrom, Autismus, ADHS, Angelman-Syndrom, Fragiles-X-Syndrom, Folgen der Meningitis-Hirnhaut-Entzündung, jeweils mit ausführlich dargestellten Beispielen und Bild-therapeutischen Hinweisen. Umfangreich sind die Formen der Demenz wie Ischämische Hypoxie, Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma und Alzheimer-Krankheit, wiederum mit klaren Bild-therapeutischen Hinweisen, dargestellt. Nicht weniger ausführlich beschreibt er psychosomatische Erkrankungen und nennt Bild-therapeutische Möglichkeiten, wiederum mit berührenden, als Bilder bezeichneten und von ihm analysierten Geschichten aus seiner eigenen Kindheit und Studentenzeit und aus der Kindheit, von der ihm seine Patienten berichtet haben. Spannend auch seine tabellarische umfassende Auseinandersetzung mit den Formen auffälligen Verhaltens und den diversen Persönlichkeitsstörungen. Hier ein Beispiel zur Selbstverletzung: „… andauernde erhöhte Cortisol- und damit verbunden: in Alarmbereitschaft versetzende, Noradrenalin- und erregende Glutamat-Ausschüttungen konstellieren auf Dauer das Gehirn im neuronalen Kontext von handlungsorganisierendem Vorderhirn, von Gefühls vermittelndem singulären Kortex, von für die Abwehr von Bedrohungen zuständigen Amygdala, erinnerndem Hippocampus und erregungsorganisierendem Hypothalamus …“ (133). Mehrere Seiten beansprucht die Tabelle zum Trauma und zur Prosttraumatischen und Belastungsstörung PTBS. Anhand von Berichten zum Aufwachen aus dem Koma deuten die Worte einer Patientin auf multimodale künstlerisch therapeutische Assoziationen hin, wenn sie sagt: „Bilder erschienen und verschwanden wieder, Begriffe, Wörter, Töne kamen und vergingen wieder. … Bald tanzten die Striche vor meinen Augen herum … das Tanzen der Buchstaben und Figuren …“ (157).
Menzens ungemein lehrreiches Kompendium eignet sich für jede Art von künstlerisch therapeutischer Praxis. Trotz seines sehr anschaulich gestalteten Schemas von Wahrnehmungsvorgang, Stationen und Orte der Verschaltung (S. 44) erscheint es wegen der vielen hirnphysiologischen Fachbegriffe empfehlenswert, einen Anatomieatlas bzw. die entsprechenden Bilder aus dem Internet heranzuziehen.[4]
[1] Hörmann, K. (2014). Ton-Psychologie. In MTK 1, S. 81-111.
[2] Der Nutzen von Menzens detaillierter Herleitung des Zeichensystems und seiner neoronalen Wirkungen lässt sich beim Musizieren und Musikhören ständig aufgreifen, insbesondere wenn ein zwischen den Tonfolgen zunächst nur angedeutetes und dann in seiner bekannten Form erscheinendes Zitat den Gehalt einer Komposition evtl. entschlüsselt und ihre Platzierung auf die tieferliegende Gesamtbedeutung hinweisen kann, wie dies in dem z. T. in den beiden regnerischen und kalten Wintermonaten 1838/39 in einem heizungslosen Kloster der vertriebenen Kartäuser in Valldemossa auf Mallorca komponierten Zyklus der Préludes Op. 28 des an Tuberkulose erkrankten Frédéric Chopin nach einem eröffnenden fulminanten „Agitato“ in C-Dur im 2. Stück die noch immer auf dem dominantischen Quart-Sext-Akkord basierenden Takte 15 – 17 verraten, in denen die ersten zwei wiederholten Worte von „Dies irae dies illa, solvet saeclum in favilla“ erstmals in der gregorianischen Reinform erscheinen (wenngleich transponiert vom gregorianischen Original f e f d) und auf den im Schlusstakt erstmals in seiner Grundform auftauchenden Akkord hinführen, der sowohl optimistisch als auch pessimistisch empfunden werden kann und in seiner Wirkung auf das dementsprechende psychosomatische Befinden auf vielerlei unterschiedlich beeinflussbaren neuronalen Vorgängen beruht. Wie das Bild ist Musik ja geistfähiges Material mit dem Potential zur selbstregulierenden Einstellung, wie sie sich auch in der interpretatorischen Gestaltung und vom sensiblen Hörer nachvollziehbar artikulatorisch verklangsinnbildlichen lassen, woraus sich der methodische Ansatz des diagnostischen, erlebnisvertiefenden und handlungsaktivierenden Singens und Musizierens in der Musiktherapie mit den Stufen Remoralisierung, Remediation und Rehabilitation ergibt und Kriterien zur Auswahl aus der Vielfalt von Musikaufnahmen ermöglicht. – Erwähnt sei auch das in jener unwirtlichen Mönchszelle komponierte sog. Regentropfen-Prélude, wo in den dissonanzreichen Takten 61- 63 die Textzeile „voll Schmerz und voller Hohn“ aus „O Haupt voll Blut und Wunden“ zitiert ist; sie kann als Hinweis auf das Elend des Komponisten in dieser Zeit, aber ebenso gut als Andeutung von Humor aufgefasst werden.
[3] Rosa, H. & Endres, W. (2016, S. 7): „Was ist an dieser Resonanzpädagogik das Besondere, »das Neue«? Führt der Weg von Performanz und Kompetenz zur Resonanz? Dazu ein kurzer Rückblick: Den Begriff Performanz hat John L. Austin in den 1960er-Jahren geprägt und bezeichnete damit ein beobachtbares Verhalten. Schüler sollten nicht nur Können erwerben, sondern das Können auch zeigen. 20 Jahre später rückte Noam Chomsky, der renommierte Sprachwissenschaftler, die Kompetenz als Gegenstück zur Performanz ins Blickfeld. Von da an werden Performanz und Kompetenz als Komplementärbegriffe gesehen. »Kompetenzen werden im Modus der Performanz erlernt und evaluiert […]. Die dem schulischen Fächerkanon zugrundeliegenden Modi der Welterschließung eröffnen dabei unterschiedliche Perspektiven der Weltwahrnehmung […].« Hartmut Rosa geht einen Schritt weiter. Er beschreibt Welterschließung nicht durch Kompetenzerwerb, sondern durch Resonanz: »Kompetenz und Resonanz sind zwei ganz verschiedene Dinge. Kompetenz bedeutet das sichere Beherrschen einer Technik, das jederzeit Verfügen-Können über etwas, das ich mir als Besitz angeeignet habe. Resonanz dagegen meint das prozesshafte In-Beziehung-Treten mit einer Sache. […] Resonanz enthält ein Moment der Offenheit und der Unverfügbarkeit, das sie von Kompetenz unterscheidet. Kompetenz ist Aneignung, Resonanz meint Anverwandlung von Welt: Ich verwandle mich dabei auch selbst.«“
[4] Z. B. das Youtube-Video zu Gerhard Roth „Wie das Gehirn die Seele macht“ und das gleichnamige Video mit Graphiken und Kommentaren zum Gehirn. Besonders zu empfehlen ist das Buch von Thomas Stegemann (2018). Was MusiktherapeutInnen über das Gehirn wissen sollten. Neurobiologie für die Praxis. München: Reinhardt-Verlag
Die Rezension ist erschienen in der MTK 2, 2018.